„Der öffentlichste schwule Arbeitsplatz“

SCHWULLESBISCHES LEBEN Zu wenig Umsatz, unpolitischer Nachwuchs: Nach 34 Jahren schließt der Buchladen „Männerschwarm“ Ende Januar und lädt bis dahin zum Ausverkauf ein. Im Februar wollen der Geschäftsführer und Freunde an neuen Konzepten werkeln

■ 36, hat ab 2005 bei „Männerschwarm“ Buchhändler gelernt. Seit 2007 ist er dort Geschäftsführer – wie es aussieht, der letzte.

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Herr Wuttke, am Sonntag beginnt der Ausverkauf im „Männerschwarm“. Warum schließt der schwule Buchladen nach 34 Jahren?

Volker Wuttke: Wir machen nicht mehr genug Umsatz.

Kam das überraschend?

Nein. Unsere Umsätze sind seit Jahren rückläufig. Das haben wir eine Zeit lang durch Einsparungen und Selbstausbeutung auffangen können, aber jetzt ist die Substanz aufgebraucht.

Liegt das in erster Linie an der Gentrifizierung in St. Georg?

Die Gentrifizierung ist ein Grund, denn sie hat durch den Umbau zum Tourismus-Viertel und den massiven Verkauf von Wohnungen auch Familien mit Kindern hergebracht …

und den Anteil schwuler Bewohner im Viertel gesenkt.

Ich denke schon, obwohl sich das schwer verifizieren lässt. Hauptgrund für den Kundenschwund ist aber das sich durchs Internet verändernde Lese-, Seh- und Einkaufsverhalten.

Und die Konkurrenz durch die „Brunos“-Kette?

Ja, dieser Outlet-Store des Bruno-Gmünder-Verlages – des größten schwulen Verlags Deutschlands – hat vor sechs Jahren hier in unmittelbarer Nähe eröffnet. Auch das hat zum Kundenschwund beigetragen.

Haben Sie denn keine Stammkundschaft, die dem trotzt?

Ja, aber sie altert mit dem Laden. Der „Männerschwarm“ war in den 1980er-, 1990er-Jahren für viele ein Kristallisationspunkt ihrer schwulen Identität – sei es durch Literatur, sei es durch Information. Wenn diese Sozialisation abgeschlossen ist, ist der Laden nicht mehr nötig – zumindest empfinden einige es so.

Ist der Laden auch politisch nicht mehr nötig – weil viele frühere Forderungen erfüllt sind?

Angesichts eines gewissen gesellschaftlichen Backlashs ist er immer noch nötig. Einem Teil der Community fehlt aber leider das politische Bewusstsein.

Eine Generationenfrage?

Ja, durchaus.

Warum sind die Jüngeren so unpolitisch?

Weil die Sozialisation über die eigene Sexualität oder die Politisierung der eigenen Sexualität viel seltener stattfindet als in den 1980er- und 1990er-Jahren. Das ist einerseits positiv, aber wenn man bedenkt, dass diese Freiheiten nur mit politischem Bewusstsein erkämpft und erhalten werden können, ist das fatal.

Als Ihr Laden 1981 eröffnete, war das noch anders. War der „Männerschwarm“ damals Pionier?

Der „Männerschwarm“ wurde drei Jahre nach dem Berliner Laden „Prinz Eisenherz“ eröffnet und war damals der dritte schwule Buchladen Deutschlands. Das Ziel der Gründer war, Literatur zusammenzutragen, sie sichtbar und zugänglich zu machen. Außerdem wollte man schwullesbische Lebensweisen öffentlich machen. In Hamburg ist der „Männerschwarm“ zum Beispiel der öffentlichste schwule Arbeitsplatz der Stadt.

Führen Sie auch lesbische Literatur?

Es gab bei uns von Anfang an ein lesbisches Regal, auch wenn der Laden immer als schwuler Buchladen geführt und verstanden wurde. Als vor einigen Jahren der Hamburger Frauenbuchladen schloss, haben wir das lesbische Regal ausgebaut und ins Label integriert. Seither gibt es auch den „Frauenschwarm“ im „Männerschwarm“. Die lesbische Literatur generiert einen respektablen Umsatzanteil, auf den wir nicht verzichten können und wollen.

Neben dem Laden gibt es den Verlag „Männerschwarm“. Wie hängt das zusammen?

Der Verlag ist aus dem Laden hervorgegangen, weil wir irgendwann gemerkt haben: Es gibt so viel gute internationale schwule Literatur, die von deutschen Verlagen nicht übersetzt wird. Da hat der „Männerschwarm“-Laden irgendwann gesagt: Das machen wir selber. Dazu kamen dann die ersten Bücher des Comiczeichners Ralf König. Als König Karriere machte, haben wir aus steuerrechtlichen Gründen den Verlag gegründet. Er ist personell unabhängig vom Buchladen und wird weiter existieren.

Und für den Laden gibt es keine Hoffnung?

Doch. Im Februar wollen wir bei einem „Zukunftstreffen“ gemeinsam mit Freunden, Bekannten und eventuellen Geldgebern besprechen, was die Szene von einem schwullesbischen Buchladen erwartet. Danach werden wir versuchen, Konzepte für einen Neubeginn zu entwickeln.

Ausverkauf mit 50 Prozent Rabatt: ab Sonntag, 4. Januar. Abschluss-Sektempfang im leer geräumten „Männerschwarm“-Laden (Lange Reihe 102): 24. Januar, 14 Uhr