Am Ende tanzt der Staub

Der Erstlingsfilm von Atiq Rahimi lebt von der Verkehrung: Die Grauen des Krieges in Afghanistan treten vor der Schönheit der Bilder zurück. Die Ästhetisierung erlaubt, den Schmerz zu bearbeiten und Rachegelüste zu vereiteln

Mehr als einmal verwischt Staub das Bild, sodass nur noch braune Schwaden zu sehen sind. Gleichfalls scheint es, als hätte sich der Staub unabschüttelbar in die Kleidung der Menschen gelegt. Und auch die reifen, roten Äpfel, die den Hunger der Hauptfiguren stillen, lassen vermuten, dass das knackige Geräusch des Zubeißens begleitet wird vom schleifenden Mahlen des Sandes auf den Zähnen.

„Erde und Asche“ ist der Debütfilm von Atiq Rahimi und Verfilmung seines Romans, den er schon 1996, lange vor der Invasion der Amerikaner und der internationalen Schutztruppe, geschrieben hat. Gelb, braun und manchmal ins Grüne changierend nimmt die Landschaft Afghanistans die Position einer Hauptfigur ein. Das Grauen des bekriegten Landes tritt hinter seiner in langen Einstellungen festgehaltenen Schönheit zurück. Gleichwohl erzählt Rahimi auch vom Schmerz der Landbevölkerung, und zwar durch den achtzigjährigen Dastaguir (Abdul Ghani) und dessen kleinen Enkel Yassin (Jawan Mard Homa Youn). Mit einem Lastwagen gekommen, warten die beiden an einer Weggabelung darauf, zur Mine mitgenommen zu werden, in der der Sohn und Vater arbeiten. Als Yassin aber einem Schaf nachläuft, das auf eine Landmine tritt und zerfetzt wird, verpassen sie die erste Mitfahrgelegenheit.

Zunächst fällt Dastaguir das Warten nicht schwer, denn die Nachricht, die er seinem Sohn überbringen will, ist schrecklich. Einem Bombenangriff auf ihr Heimatdorf sind Dastaguirs Schwiegertochter und Ehefrau zum Opfer gefallen. Trauer und fast mehr noch Schande – denn die Schwiegertochter starb badend, also nackt und vermeintlich die Familie entehrend – haben ihn schwer mitgenommen. Allein der kleine Yassin macht einen munteren Eindruck. Erst nach und nach offenbart sich dem Zuschauenden, dass auch Dastaguir ein Leidtragender des Krieges ist. Er hat sein Gehör verloren, kann das aber nicht realisieren. Daher sucht Yassin die verlorenen Stimmen der anderen in einem leeren Panzerwrack und riskiert somit, dass beide nochmals den Lkw verpassen.

Trotzdem, nicht nur die gleißende, staubige Szenerie unterläuft die dunkle Endzeitstimmung. Immer wieder wird der harsche Realismus dieses zerbombten Hinterlandes durch Linderung versprechende surreale Bilder und kluge Worte durchsiebt. Sei es, dass ein Mann eine hölzerne Tür auf seinem Rücken durch Afghanistan trägt, sei es, dass ein Straßenhändler im Rückgriff auf Legenden das Wesen der afghanischen Kriege bestimmt: „Entweder hat man Blut an den Händen oder der Kehle.“

Bemerkenswert ist auch, wie unbestimmt in „Erde und Asche“ der Krieg bleibt. Die literarische Vorlage hatte Rahimi noch vor klar politischem Hintergrund geschrieben: „Die Taliban hatten gerade die Macht in Kabul übernommen, ohne dass die Welt besonders darauf reagierte. Daraufhin schrieb ich ‚Terre et cendres‘ (Erde und Asche), meinen ersten Roman als Zeichen des Protests dagegen, dass die internationale Meinung das afghanische Volk aufgegeben hatte“, sagt er in einem Interview.

Sein Film, 2004 gedreht und in Cannes gezeigt, aber verzichtet auf jedwede konkrete politische Referenz. So bleibt unklar, wer die im Hintergrund donnernden Bomben verantwortet. Atiq Rahimi geht es mehr um Fragen als um Antworten. Angesichts einer eher dürftigen Berichterstattung über Afghanistan, wird „Erde und Asche“ trotzdem zum wertvollen Kriegsbericht. Denn Staub, Erde, Asche spielen in vielen religiösen Trauerritualen eine wichtige Rolle. Ohne das Ritual jedoch tatsächlich einzufordern, lässt der Filmemacher die afghanische Erde zu gewissenhaften Zeichen dafür werden, dass die nicht Rache die Konsequenz aus der kriegerischen Gewalt sein darf, sondern Erzählung, Verarbeitung und Klage. DOMINIK BERNSMANN

„Erde und Asche“. Regie: Atiq Rahimi. Mit Abdul Ghani, Jawan Mard Homa Youn u.a. Afghanistan/Frankreich 2004, 97 Min. fsk am Oranienplatz