Verbot, Verhör, Verschärfung

Vor den Wahlen erhöht Marokkos König Mohammed VI. den Druck auf die Presse

Ahmed Benchemsi ist der Nächste. Der Verkauf mehrerer Zeitschriften wurde in Marokko im Sommer bereits verboten. Drei Journalisten standen vor Gericht. Und heute ist der Prozess gegen Benchemsi. Dem 33-jährigen Herausgeber des frankophonen Magazins Tel Quel und des arabischsprachigen Nichane drohen bis zu fünf Jahre Haft – und er erwartet das Schlimmste.

Er hat einen Kommentar geschrieben, in dem er Marokkos König Mohammed VI. vorwirft, immer mehr Macht an sich zu ziehen. Der Text erschien auf Französisch und im marokkanischen, arabischen Dialekt, was die Schwere der Majestätsbeleidigung erhöht – im Umgang mit dem König ist Hocharabisch angesagt. „Ich habe den ‚Führer aller Gläubigen‘ wie einen normalen Mann angesprochen“, sagt Benchemsi. „Im Palast wurde das als Unverschämtheit aufgefasst. Dabei wollte ich gar nicht beleidigend sein.“ Die Folgen: Verkaufsverbot für seine Blätter, ein 20-stündiges Verhör und nun der Prozess.

Demokratisierung?

Vor den Parlamentswahlen am 7. September scheint König Mohammed VI. aufräumen zu wollen. Vor wenigen Tagen wanderte der Journalist Mostapha Hurmatallah von der Zeitschrift al-Watan al-An für acht Monate hinter Gitter. Er wurde beschuldigt, Dokumente veröffentlicht zu haben, die er durch ein Verbrechen erhalten habe. Beim fraglichen Artikel handelt es sich um ein Dossier über die Sicherheit in Marokko angesichts des islamistischen Terrors. Hurmatallah zitierte Dokumente des militärischen Sicherheitsdienstes. Acht Militärs wurden für schuldig befunden, sie ihm zugespielt zu haben, und wurden zu langen Haftstrafen verurteilt.

„Es gab schon immer Probleme“, sagt der Generalsekretär der unabhängigen marokkanischen Journalistengewerkschaft SNPM, Younes Moujahid. Die gegenwärtige Lage aber beurteilt er als „Verschärfung“ und „schwer wiegend“. Auch das Zentrum zum Schutz der Journalisten (CPJ), eine internationale New Yorker NGO, schlägt Alarm. „In den letzten fünf Jahren wurde die Pressefreiheit stark eingeschränkt“, heißt es in deren Marokko-Bericht zur Bilanz der Regierung von Mohammed VI. – eigentlich war von ihm eine Demokratisierung erwartet worden.

Stattdessen hat der König unter Protesten der Journalisten das Pressegesetz verschärfen lassen. Dort sind die Themen aufgeführt, die als unantastbar gelten: die Monarchie, die Religion – der König ist laut Verfassung Führer aller Gläubigen – und die territoriale Einheit Marokkos, weshalb keine kritischen Artikel über die Besetzung der ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara veröffentlicht werden dürfen. Die nahe Zukunft dürfte noch schwerer für die Presse werden: Mohammed VI. will das Pressegesetz erneut reformieren lassen, um die Strafen zu verschärfen. Und bei den Wahlen wird ein Sieg der Islamisten erwartet.

REINER WANDLER, MADRID