Nationalbewusstsein von außen

JÜDISCHES MUSEUM In der Jubiläumsschau „Heimatkunde – 30 Künstler blicken auf Deutschland“ setzen sich ausländische und migrantische Künstler kritisch mit deutscher Erinnerungskultur und Geschichte auseinander

Es geht den Kuratorinnen um den subjektiven und ästhetischen Blickwinkel

VON NINA SCHOLZ

Das Jüdische Museum in Berlin begeht seinen zehnten Geburtstag mit einer Sonderausstellung. Vor zehn Jahren wurde hierzulande darüber diskutiert, ob Deutschland überhaupt ein Einwanderungsland sei. Heute lässt sich dieser Fakt nicht mehr von der Hand weisen.

Die Ausstellung mit dem Titel „Heimatkunde – 30 Künstler blicken auf Deutschland“ ist als Standortbestimmung zu verstehen. Heimatgefühle und Nationalbewusstsein werden kritisch von Künstlern beleuchtet, die aus dem Ausland stammen, entweder hier aufgewachsen sind oder zumindest eine kurze Zeit in Deutschland verbracht haben. Es geht den Kuratorinnen um den subjektiven, ästhetischen, nicht um einen soziologischen Blickwinkel. Obwohl keine Obergrenze für das Alter der teilnehmenden Künstler festgesetzt wurde, ist der größte Teil von ihnen jünger als 40 Jahre.

Migration und Mythen

Die Ausstellung ist in die vier thematischen Bereiche „Erfahrungen mit der Migration“, „Religion und Identität“, „kollektives Gedächtnis und Familiengeschichte“ sowie „Nationale Mythen der Deutschen“ gegliedert.

Im ersten Raum zeigt der im Iran geborene und in Berlin lebende Fotograf Maziar Moradi seine Bilderreihe „Ich werde deutsch“. Er hat sich Migrationsgeschichten erzählen lassen und diese in hoch stilisierte Momentaufnahmen destilliert, die die Geschichte selbst nicht mehr preisgeben. Die Betrachter fragen sich bei ihnen zwangsläufig, was die Abgebildeten wohl erlebt haben müssen.

Unbewusste Ebenen der persönlichen Erinnerungskultur bearbeitet Maya Zack mit ihren „Living Room“-Bildern: verschwommenen, schwarz-weißen Aufnahmen von Wohnzimmern, die räumliche Tiefe und zugleich bildliche Schärfe erst bekommen, wenn der Betrachter eine 3-D-Brille aufsetzt. In auffällig vielen Objekten steht der deutsche Wald im Mittelpunkt: Lilli Engel & Raffel Rheinsberg haben raumgroß „Die Naturkunstzelle“ aufgebaut, ein Baumlabyrinth, das von innen wie ein dichter Wald, von außen wie eine ordentliche deutsche Hecke wirkt. Einen Raum weiter hängen Landschaftsaufnahmen des israelischen Malers Eldar Faber. Auch hier ist der deutsche Wald eine optische Täuschung, denn bei näherer Betrachtung erkennt man verschiedene Berliner Parks. Julian Rosefeldts Filminstallation „Meine Heimat ist ein düsteres wolkenverhangenes Land“ hingegen widmet sich dem kulturgeschichtlichen Topos des Waldes. Er fragt nach der Bedeutung von Kultur, Mythos und Gesellschaft im deutschen Naturbegriff. Gerade im letzten Jahrzehnt, in dem Umweltschutz in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen ist, wird der Naturbegriff wieder deutlicher verhandelt. Das zeigt sich auch in den ausgestellten Objekten, in denen die aktuellen Auseinandersetzungen genauso eine große Rolle spielen wie der diffuse romantische Mythos der Vergangenheit.

Diese sich überlagernden Mythen hat der in Israel lebende Künstler Ronen Eidelman aufgegriffen. Nach einem Studienjahr an der Weimarer Bauhaus Universität hat er „Medinat Weimar – Die Bewegung zur Gründung eines jüdischen Staates in Thüringen“ ausgerufen. Allein der Titel des Fantasiestaats evoziert verschiedene Bilder: Goethe, Schiller, der Thüringer Wald, die Konzentrationslager, die Weimarer Republik, die Gründung Israels, Neonazis kommen etwa in den Sinn. Eidelman verknüpft dies mit der Bürokratie politischer Verwaltung: Im Büro der Aktivisten stehen Ordner ordentlich in den Regalen, Petitionen liegen zum Unterschreiben aus. Im letzten Raum wird deutlich Bezug genommen auf das, was im letzten Jahrzehnt als Normalisierung des Nationalgefühls verhandelt wurde: Eine Wandcollage widmet sich dem sukzessiven Einzug der Farben Schwarz-Rot-Gold in die Massenkultur.

■ Bis 29. Januar 2012