Erdbeeren und Fisch frisch vom Dach

LEBENSMITTEL Ist es möglich, Abwasser eines Wohnhauses für den Anbau von Gemüse auf dem Dach zu nutzen? Ja, sagen die Macher des Projekts Roof Water-Farm. In Marzahn erforschen sie das Potenzial dieser Idee. Schon 2017 sollen die Ergebnisse gezeigt werden

VON RALF HUTTER

2017 wird aufregend in Marzahn-Hellersdorf: In jenem Jahr wird in dem Bezirk eine Internationale Gartenausstellung (IGA) stattfinden; die Vorbereitungen dafür laufen. So gab es Ende vergangenen Jahres ein Bürgerbeteiligungsverfahren für die geplante Panoramaseilbahn. An einem anderen Projekt, das ebenfalls 2017 in Marzahn vorgestellt werden könnte, wird hingegen im Stillen gearbeitet: die sogenannte Roof Water-Farm.

Es geht dabei um ein grundsätzlich anderes Konzept städtischen Wohnens, um die Verschmelzung von Architektur, Stadtplanung und Wasserwirtschaft: In jedem Häuserblock könnte der Großteil des Abwassers aufbereitet und wiedergenutzt werden. Das Wasser soll dann aber nicht nur wieder für Toilette und Waschmaschine zur Verfügung stehen, sondern auch für Dachgärten. Auf denen sollen mittels Aquaponik parallel und sich ergänzend Fische gezüchtet sowie Obst und Gemüse angebaut werden. Das könnte viel Energie sparen, nicht nur hinsichtlich des städtischen Transports von Nahrungsmitteln und Wasser: Selbst die Wärme des Abwassers würde zum Teil wiederverwendet. Dachgärten haben zudem einen positiven klimatischen Effekt.

Gesucht werden deshalb „Großwohnsiedlungen mit Dachpotenzial“, wie Anja Steglich es nennt. Steglich und ihre Kollegin Grit Bürgow arbeiten am Fachgebiet Städtebau und Siedlungswesen der Technischen Universität (TU), sie sind Teil der Projektleitung von Roof Water-Farm. Das Projekt vereint ein halbes Dutzend Forschungseinrichtungen und Firmen.

Die Initiative steckt noch in der Anfangsphase. Deswegen muss zuerst Grundsätzliches geklärt werden. Das auf eine Ausschreibung des Bundesforschungsministeriums zurückgehende Projekt hat seit seinem Start 2013 drei Jahre Zeit für Forschung: Wie hygienisch sicher ist die Lebensmittelproduktion? Welche Gebäudetypen – Wohn- und Geschäftshäuser, Hotels, Schulen – eignen sich für die Aufbereitung, und welche Kosten fallen jeweils an? Welche Voraussetzungen und welche Auswirkungen auf Mensch und städtische Infrastruktur gibt es?

Eine Pilotanlage steht seit Jahren in Kreuzberg. In Marzahn werden nun weitere Aspekte dieses Programms umgesetzt. Zum einen wird eine der Gebäudestudien erstellt. Geprüft wird prototypisch die Umsetzbarkeit einer Roof Water-Farm in einer Großwohnsiedlung, wahrscheinlich an einem Wohngebäude. „Es ist eine Pilotstudie, also relativ unkonkret“, sagt Angela Million, TU-Professorin und Leiterin des Forschungsverbundes. „Wir schauen, ob die Methodik funktioniert, erstellen aber auch eine Strategie konkret für Marzahn.“

Projekt mit Schülern

Ein zweiter Aspekt, der in Marzahn bearbeitet wird, hängt mit der sozialwissenschaftlichen Seite zusammen. Dabei geht es um die Veränderung der lokalen Beziehungen und der lokalen Wertschöpfung durch die Produktion von Gemüse, Obst und Fisch in Nachbarschaftsdachgärten; aber auch um die Entwicklung von Bildungsmaterialien für die Baubranche, für Lehrkräfte und für Kinder. „Wir haben im September einen Workshop mit Schülern einer 6. Klasse der Peter-Pan-Grundschule gemacht“, berichtet Anja Steglich. „Diese Workshops helfen uns bei der Entwicklung von Lehr- und Bildungsmaterialien. Die Interviews mit Lehrern und Schülern dazu bereiten wir gerade auf.“

Angela Million ist in dieser Hinsicht schon länger aktiv, und zwar im Verein JAS, dessen Name für „Jugend, Architektur, Stadt“ steht. Der Vereinsgründung sei die Erkenntnis vorausgegangen: „Wenn man Stadt verändern will, lohnt es sich, Kinder und Jugendliche damit in Berührung zu bringen.“ Der Verein wolle nicht „kleine Architekten ausbilden“, sondern eine Grundlage dafür schaffen, dass die Menschen später mal mitreden können, gerade in politischer Hinsicht.

Erwin Nolde hat bereits Erfahrungen mit der Wasseraufbereitung. Sein Ingenieurbüro hat die erste Anlage dieser Art 1996 in einem Offenbacher Hotel errichtet, berichtet er. Sie habe bis heute nie Probleme gemacht. Er habe das System weiterentwickelt: „Nach der Aufbereitung ist das Wasser sauberer als das der Kläranlagen“ – und das mit weniger Energie- und Personalaufwand. Erste Messungen zeigen zudem, dass die damit erzeugten Lebensmittel hygienisch sicher sind.

Dennoch komme von der öffentlichen Hand nicht mehr als Forschungsförderung, kritisiert Nolde. „Die kommunale Wasserwirtschaft hat anscheinend kein Interesse daran. Wir wollen denen aber nicht das Geschäftsfeld wegnehmen. Solche Anlagen müssen professionell betreut werden. Das könnten die machen.“ Doch statt kommunalen Wohnungsbaugesellschaften habe in Berlin laut Nolde bisher nur ein Privatinvestor eine solche Anlage bestellt.

Ein großes Problem ist, dass das Aufbereitungssystem einen tiefen Eingriff in die Gebäudesubstanz erfordert. Behandelt werden soll nämlich nur das sogenannte Grauwasser. Gemeint ist damit Haushaltsabwasser ohne Fäkalien. Die Voraussetzung für Roof Water-Farm ist folglich, dass das Abwasser der Toilette vom Rest getrennt wird, also ein doppeltes Leitungssystem installiert wird. Das geht nur bei Neubau oder Grundsanierung. Angela Million hat Verständnis dafür, dass auch der Berliner Senat in diesem frühen Stadium zurückhaltend ist.

Dennoch ist Grit Bürgow optimistisch: „Wir sind in Kontakt mit dem Bezirk, inwieweit wir bei der IGA vorkommen können, etwa im Rahmen der geplanten Gartenschau ‚Urban gärtnern‘ “.