Tilman Rammstedt, Stadtschreiber
: Der Virtuelle

■ 36, wohnt in Berlin und ist Schriftsteller und Musiker. 2008 erhielt er den renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis.Foto: dpa

Vielleicht war genau das der Coup, den sich Monika Eden, die Leiterin des Literaturbüros Oldenburg, überlegt hat, als sie Tilman Rammstedt als Stadtschreiber in die Stadt holte. „Holen“ im übertragenen Sinne, denn Rammstedt darf sich als erster „virtueller Stadtschreiber“ bezeichnen. Er muss nicht nur nicht, er soll auch gar nicht in der Stadt sein, über die er schreibt.

Von Berlin aus, wo der 1975 geborene Schriftsteller wohnt, soll er sich Oldenburg übers Internet nähern und das, was er findet, fiktionalisieren. Geht denn das überhaupt? Genau das ist der Coup: Stadtschreiber mit Residenzpflicht kennt man. Virtuelle Stadtschreiber noch nicht.

Der NDR ist auch gleich darauf angesprungen und hat schon zum zweiten Mal zu enthüllen versucht, dass das vom Literaturbüro und dem Stadtmarketing vergebene Stipendium Unsinn sei. „Der kennt die Stadt nicht und und macht sie mies, und das kostet pro Monat 1.000 Euro!“ So in etwa interpretiert der Sender Rammstedts Auftritt im Netz, denn dort – NDR: „auch das noch“ – erscheint Rammstedts Blogbuch Oldenburg.

Rammstedt hatte in einer Folge geschrieben, in welchen Straßen Oldenburgs er allein vom Namen her „gerne“ und „nicht so gerne“ wohnen würde. In die letzte Kategorie sortierte er den Drögen-Hasen-Weg ein. Und was machte der NDR? Ging in den Drögen-Hasen-Weg und fragte Anwohner, wie sie das denn finden. Die fanden das nicht so toll, schon hatte der Film den richtigen Dreh. Ein ignoranter Nörgler sei da unterwegs, und dass das einen Tausender pro Monat verschlingt – darf ja nicht wahr sein.

Nun ja, Rammstedt ist Literat, sein Ich ist ein fiktionales Ich, und schon fühlt man sich wie im Deutschunterricht in der Unterstufe, wo man so etwas noch erklären muss. Eden sagt, dass sie stolz ist auf Rammstedts Auftritt, denn der hat mit seinem ersten Roman den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Das Honorar möchte sie als Literaturförderung verstanden wissen.

Das Experiment, das sie initiiert hat, darf als gelungen bezeichnet werden. Rammstedt schreibt witzig, er fabuliert und verblüfft seine Leser mit einem genauen Blick auf die Stadt. Als wäre er da gewesen. Also nicht er, sondern sein „Ich“. FEZ