Aktivismus für Anfänger

TEST Übers Helfen reden viele. Aber es tun? Wie leicht ist der Einstieg in eine NGO eigentlich? Unsere Autoren haben es ausprobiert – bei den Verbänden in Berlin. Fünf Organisationen an fünf Tagen

VON JAN PEDD
UND JAN WEHN

Beherzt beim BUND
FAMILIE WG-Flair mit Pizza und Wein: Im Gespräch mit Naturschützern

Schneebedeckte Berge, Sonnenschein, leuchtend grüne Wiesen – in dieser Umgebung trifft sich der BUND Arbeitskreis Klima und Erneuerbare Energien. Eine ganze Wand des WG-Zimmers in Berlin-Neukölln ist von der Idylle überzogen. Davor sitzen die Aktivisten, es sind elf. Einige drängen sich auf eine blassgelbe Couch. Es gibt Grissini und Chips; Wein, Bier, Saft und Wasser.

„Der BUND ist eher was für die großen Themen“, sagt Johannes Schmitz, 22, Student und seit einem Jahr Mitglied im Arbeitskreis. Atomenergie, Wärmedämmungen, Kohlendioxidspeicherung – das sind die Themen, die hier verhandelt werden. Auf der Tagesordnung stehen das Bundesdelegiertentreffen im November, eine Veranstaltung mit japanischen Atomgegnern und verschiedene Aktionen am heutigen Samstag. Bei der Demo gegen den neuen Gesetzesentwurf zur Kohlendioxidabscheidung und -speicherung wollen sie – angekettet an einen Heizkörper – Flyer verteilen. Durch bessere Gebäudedämmungen soll Heizenergie gespart werden. „Freiheizberaubung“ nennt sich die Aktion.

Familiär geht es zu. Nur geordneter: Es redet immer nur einer, alle Vorschläge werden diskutiert. Schon die Kontaktaufnahme mit dem Gruppensprecher Florian Noto verlief problemlos. Der 33-Jährige hat den Arbeitskreis vor zwei Jahren gegründet und arbeitet heute bei einem Naturschutzverband. Über neue Mitstreiter freue man sich immer. Nach dem Treffen wird Pizza rumgereicht, die Gespräche werden lauter. Eben wie bei einem Familientreffen.

Offenheit: 5 Kästchen

Professionalität: 4 Kästchen

Emofaktor: 4 Kästchen

Fleischlos wegen Greenpeace
TRAINING Walfänger und AKW-Kletterer: In den 40-jährigen Umweltkonzern reinschnuppern bedeutet anderthalb Stunden Frontalunterricht

Einen Tag nach der Anfrage kam die Einladung zum „Neuentreffen“. Ort: die Greenpeace-Zentrale in Berlin-Mitte. Vor der Tür sammeln sich die potenziellen Aktivisten und folgen Marion Wagner, 47-jährige Beamtin und Moderatorin des Abends, in den Konferenzraum, wo schon der Beamer aufgebaut ist. Dann ist Vorstellungsrunde. 15 Frauen zwischen elf und sechzig Jahren. Zwei Männer. Der eine ist der Autor dieses Textes, der andere IT-Berater, der seinem Leben neuen Sinn geben möchte. Überhaupt ist viel von Umgestaltung und Neuorientierung die Rede.

Neunzig Minuten dauert Marion Wagners Vortrag. „Es klingt vielleicht kitschig, aber wir bei Greenpeace sind wirklich so was wie eine Familie“, sagt sie da. Und die Anwesenden nicken. Recken die Hälse, um Fotos von toten Walen und Greenpeace-Aktivisten, die auf dem Brandenburger Tor stehen, erkennen zu können. Die Verherrlichung der Aktivisten, der Menschen, die auf Atomkraftwerke klettern und mit Schlauchbooten Walfänger ablenken, das scheint wohl die Hauptaufgabe dieses Treffens zu sein.

Es wirkt. Anstatt die Dinge zu hinterfragen, schwört man sich, seinen Fleischkonsum zu reduzieren, und freut sich darauf, die CDU-Zentrale zu stürmen.

Erst nach dem Vortrag erwacht man aus der Hypnose. Zeit für das Frage-und-Antwort-Spiel. Ob es wahr sei, dass man bei Greenpeace kaum eigene Ideen einbringen darf. „Nein, wenn wir die Liste der deutschlandweiten Aktionen abgearbeitet haben, kann jede Gruppe machen, was sie will.“ Wie lang diese Liste ist? Das bleibt erst mal geheim. Um das zu erfahren, muss man bei Greenpeace aktiv werden, und um aktiv zu werden, so Wagner, müsse ein „Regional-Basis-Training“ absolviert werden. An einem kompletten Samstag gebe es dann alles über die Geschichte der Organisation und die Mittel des Protests zu lernen.

Offenheit: 1 Kästchen

Professionalität: 5 Kästchen

Emofaktor: 3 Kästchen

Nusskuchen beim Nabu
KAFFEEKLATSCH Bei Sonnenschein und Hefeteig lässt es sich gemütlich schuften. Hat man die Naturschützer denn erst einmal gefunden

Ganz weit draußen, irgendwo am äußersten Ende von Berlin-Pankow, dem wirklich letzten äußersten Ende, dort wo die kasachische Botschaft ihren Sitz hat, liegt die Kleingartenkolonie „Am Anger e. V.“. Über 300 Parzellen und Schrebergärten reihen sich hier aneinander, darunter auch ein Garten des Nabu-Landesverbandes Berlin.

Seit April trifft sich dort Karla Paliege, Initiatorin des Projektes, jeden Montag mit bis zu zwanzig gartenliebenden Helfern, die an dem Grundstück arbeiten, das vollkommen verwildert war. Und an der Hütte aus den Dreißigern, die darauf steht und lange Zeit völlig verfallen war.

Um 17 Uhr geht es los. Wer zuerst da ist, fängt schon mal an. Damit, die Tapetenreste von den Wänden der Hütte zu kratzen. Oder damit, sich durch den dicken Aktenordner zu wühlen, den Karla Paliege angelegt hat – mit Texten und Bildchen zu den Pflanzen im Garten.

In den Apfelbäumen hängen handballgroße Früchte. Außerdem Insekten- und Vogelkästen, die haben die Nabu-Mitglieder schon angebracht. Auf den frisch bestellten Beeten leuchten Mangoldstängel in rot, gelb, lila und pink. Zwei Frauen klauben gerade Haselnüsse vom Boden und breiten sie auf einem Geschirrtuch aus: „Die kommen in den Kuchen.“ Den gibt es immer beim Treffen – diese Woche ist es ein leckerer Hefeteig, von Karla Paliege mit Pflaumen und Streuseln belegt. Auch inklusive: jede Menge zu lachen. Und die Möglichkeit, direkt vor Ort mitanzupacken.

Wer hier fragt, kriegt Antworten. Wer helfen will, kann das sofort tun. Eines interessiert den NGO-Neuling besonders: Wieso man als Naturschutzbund denn bitteschön einen ganzen Garten umgräbt und in den natürlichen Verwilderungsprozess eingreift? „Wir müssen regulieren“, erklärt Karla Paliege. „Durch Chemie und Verdrängung der Lebensräume ist das Ökosystem schon sehr stark gestört. Da hilft es, wenn wir an den richtigen Stellen eingreifen.“ Aha.

Offenheit: 5 Kästchen

Professionalität: 4 Kästchen

Emofaktor: 5 Kästchen

Ausgeglichen dank Amnesty
ZWIEGESPRÄCH Sanft und entschlossen: Wer zu den Menschenrechtlern will, wird was bewegen. Und das schnell. Besuch bei der Vorzeigeorganisation

Eine Wohnung im Berliner Norden, mit Blick auf den Tegeler See und großen Fenstern. Die Rentnerin Christine R.-S., die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, hat zu sich nach Hause geladen. Sie leitet heute die Amnesty-Gruppe zu Israel und den Palästinensergebieten. Jetzt serviert sie Cracker mit Kräuterdip. Auf die vorangegangene Anfrage, wann sich die Gruppe treffe, hat sie binnen zwei Tagen geantwortet: Man freue sich immer über Zuwachs.

Im Wohnzimmer sitzen drei Aktivisten, einer davon blond, groß, ein Rabbi.

Ein Rabbi? Bei einer NGO? Israellobby? Zionisten? Innerlich macht man sich bereit, mit ihm zu streiten. Doch nach einer halben Stunde sind alle Konfliktgedanken verflogen. Wegen seiner Verve. Seiner Argumente. Er kritisiert die israelische Wasserpolitik aufs Heftigste. Spricht von unmenschlichem Verhalten gegenüber den Palästinensern.

Christine R.-S. erzählt von den Fortschritten beschlossener Aktionen, von Filmvorführungen, einer Vortragsreihe. Viele Projekte plant man hier. Zwischendurch werden alle nach ihrer Meinung gefragt.

„Jeder macht natürlich nur so viel, wie er will“, sagt Christine R.-S. – und: „Die Neuen sollen ein bisschen geschont werden.“ Der Rabbi sieht das anders: „Ich glaube, die Neuen sollte man gerade mehr einspannen. Die fragen doch immer, was sie machen können.“ Dann wird aus den verschiedenen Gremien des Dachverbands berichtet, dass der Umzug des Amnesty-Büros vom Vorstand beschlossen wurde. Einbeziehen, mitmachen – wichtige Verben bei Amnesty.

Hier ist man von Beginn an vollwertiges Mitglied. Unklarheiten werden erläutert, Vorschläge ernst genommen.

Offenheit: 5 Kästchen

Professionalität: 4Kästchen

Emofaktor: 4 Kästchen

Mit Keksen in der Caritas
INTERVIEW Ein Fragenkatalog, 15 Minuten – schon darf Kindern vorgelesen und Kranken geholfen werden. Vorausgesetzt, die Antworten stimmen

Hafertaler mit Schokoladenüberzug! In der Caritas. Löst man sich von der großen Keksschale und tastet sich vom Empfang durch dunkle Treppenhäuser in den sechsten Stock, steht man vor Katja Eichhorns Büro. Hell ist es hier, ein paar Pflanzen links und rechts und viele, viele Flyer.

Katja Eichhorn koordiniert die ehrenamtliche Arbeit für das Erzbistum Berlin. Seit 2008 führt die 40-Jährige die Erstgespräche mit potenziellen Helfern der Caritas. Los geht’s mit Persönlichem. Was machen Sie gerade? Wieso wollen Sie zur Caritas, ausgerechnet?

Dann zückt sie den Fragebogen, macht Notizen. Kontaktdaten? Favorisierte Arbeitsbereiche? Talente? „Öhm“, denkt man. „Lateinnachhilfe für Mittelstufler“, sagt man.

Aufgaben gibt es dutzende. Vorlesen in Kindertagesstätten, Behördengänge mit Migranten, Hospizarbeit – alles dabei. Nach Vorschlägen für Veranstaltungen wird sich auch erkundigt.

Während mögliche Einsatzstellen überlegt werden, streut Eichhorn Fragen, um die Qualifikation ihres Gegenübers abzuschätzen. Erfahrung mit Jugendlichen? Fähigkeit, Inhalte zu vermitteln? Und welche Sprachen sprechen Sie überhaupt?

Danach erzählt Katja Eichhorn von der Kür, den freiwilligen Fortbildungskursen für Ehrenamtliche: „Erfolgreicher kommunizieren“ steht auf der Liste, und „Zielgerichteter Umgang mit Konflikten“. „Eine tolle Möglichkeit, andere Helfer kennenzulernen“, sagt sie.

Am Schluss steht der Antrag auf ein polizeiliches Führungszeugnis. Das braucht man bei der Caritas immer, wenn man mit Kindern oder Jugendlichen arbeiten möchte. Die 13 Euro, die das Bürgeramt dafür normalerweise verlangt, wird Ehrenamtlichen erlassen.

Noch ein freundlicher Händedruck, schon ist das Gespräch beendet. Nach einer halben Stunde kann man sich über einen ziemlich leichten Einstieg freuen. Und ihn, zurück am Empfang, mit einem Keks versüßen.

Offenheit: 3 Kästchen

Professionalität: 5 Kästchen

Emofaktor: 2 Kästchen