Mein Leben mit Krüss

Sechs taz-AutorInnen haben aufgeschrieben, was ihnen seine Bücher bedeutet haben

Ich bin dann doch nie auf den Hummerklippen gewesen, jedenfalls nicht in echt. War der Weg zu weit? Habe ich das Boot verpasst? Ich weiß es nicht. Jedenfalls ging es mir nicht wie dem Jungen namens Boy, der einen „Sommer auf den Hummerklippen“ verbringen durfte– und mich zu diesen kuriosen Leuten brachte, die den Sommer über dort vorbeikamen. Zu Johann, dem Leuchtturmwärter, zu Dappi Lorenzen, dem Schiffsmechaniker, dem Abenteurer Tetjus Timm und dem merkwürdigen Privattaucher namens M. Boy war es, der Ebby Schaumschläger mit der weißen Yacht traf und mit Johann in dessen Barkasse zu dem kleinen Dampfer fuhr, der dem Leuchtturmwärter Post und Lebensmittel brachte. Ich habe immer gehofft, dort auch einmal hinzukommen. Inzwischen weiß ich, dass es gut war, nie auf den Hummerklippen gewesen sein. Sie sind so ein Ziel geblieben, von dem ich immer noch träume, wenn ich am Nordseestrand stehe. Da hinten, irgendwo, da müssen sie sein. Und das weiße Segelboot, ist das nicht Johann auf dem Weg zum Postdampfer?

FELIX ZIMMERMANN

Zu meinen liebsten, je nun, ich geniere mich, das Pädagogenwort hinzuschreiben, aber mir fällt kein treffenderes ein, zu meinen liebsten Lektüreerfahrungen als Kind gehörte „Mein Urgroßvater, die Helden und ich“, eine Sammlung von Geschichten und Gedichten, die sich – Überraschung! – ein Greis und sein Urenkel namens Boy ausdenken und einander erzählen, während sie in der längst stillgelegten Werkstatt des Alten sitzen, die wunderbarerweise auf Helgoland liegt. Dabei forschen sie tastend in zahllosen Variationen nach Antworten auf Fragen wie: Wie wird ein Mensch zum Helden? Was ist eigentlich heldenhaft? (Eines Tages möchte Boy mit einem Sprung von den Klippen beweisen, dass er ... lesen Sie selbst.) Sobald ich in dem Buch las, wurde die Werkstatt umstandslos mein Dachboden, mein Versteck, mein Fluchtpunkt; eine paradiesische Projektion, die den Wunsch weckte, zu einem Standbild zu werden, ein erstarrter, gefrorener Rahmen, den ich hier spanne, um den Fachbegriff freeze frame zu vermeiden. Warum, weiß der Himmel, womöglich der über Helgoland. DIETRICH ZUR NEDDEN

Was rumpelt da, was pumpelt da, was macht uns viel Verdruss“, heißt es im „Blauen Autobus“ und bei niemandem rumpeln die Sätze so schön wie bei James Krüss. Der die Dinge so nüchtern auf den Punkt bringt: „Florentine heißt ein Kind, wenn es mager ist und spinnt“, so muss man ein Buch erst mal nennen. Ich glaube, das war es, was ich an ihm am meisten mochte: Die Freundlichkeit mit den Sonderbaren, seien es magere Kinder oder fehlgeleitete Busse. Oder alte Züge: „Henriette, Henriette, heißt die nette, alte Bimmelbahn“. ANETTE GRÄFF

Dass Opa gerne Schnäpsekippte, roch ich schon von ferne, dass Oma am Verpoorten nippte, hatte ich ganz gerne. Dass Papa lieber Biere trank, sah ich, er wurde dick, Mama hingegen die blieb schlank, sie fand Cinzano schick. Dass auch die Möpse Schnäpse saufen hielt ich für großen Stüss bis ich es aufgeschrieben fand bei Kinderautor Krüss. Ich tat ein Fläschchen Wodka in den Napf von unserm Dackel Mann, ich kann euch sagen, das gab ein Mordsgewackel. Der Hund fiel hin, und kotzte den Perserteppich voll, Gott, wie mein Alter motzte, die Zornesader schwoll. Ich kriegte, was sehr schmerzhaft war zwei, drei auf die Nüss, seitdem mied ich, das war klar, die Bücher von James Krüss.

MICHAEL QUASTHOFF

Wie Krüss‘ eigenes Verhältnis zu seinem Vater, dem Insel-Elektriker Ludwig, war, weiß ich nicht. Aber wenn man selber für seine Söhne zum Beispiel das große Reim-Werk „Wer rief denn bloß die Feuerwehr?“ rezitiert, kommt man in den Genuss besonders papafreundlicher Pointen. Schon der temporeiche Einstieg – die Feuerwehr, die Feuerwehr, sie kommt mit großem Lärm daher – sichert gebannte Aufmerksamkeit. Doch mittendrin im Stadtverkehr, hält plötzlich an die Feuerwehr, vorm Haus Professor Kunkelts. „Siehst du den Rauch?“ – „Ich seh‘ ihn auch!“ Dann entwickelt sich die Geschichte des aufgeweckten Jungen, der allerdings falschen Alarm ausgelöst hat. Denn jetzt erscheint der Hausherr – vor Zorn hört man ihn keuchen. Der Professor ist Chemiker, deswegen hat es gequalmt – meine Söhne finden das genauso super wie ich. Zumal jetzt der Vater groß raus kommt: Da sagt der Kleine, leicht geniert: „Mein Vater malt und tapeziert. Und Vater hilft mir immer. Ich sprach ihn schon am Telefon.“ „Und was hat er gesagt, mein Sohn?“ „Er repariert das Zimmer.“ HENNING BLEYL

Wenn der Name „James Krüss“ fällt, taucht sofort ein Bild in meinem Kopf auf. Ein kleines, rundliches Männchen schwimmt mit einem vergnüglichen Grinsen durch ein altmodisches Tintenfass. Ich habe ihn mir immer mit einem glitzernden Zaubermantel vorgestellt, und seltsamerweise ist die Tinte, die ich mir ausmale, klar wie Wasser, so dass ich dem Zauberer bei seinen Drehungen und Purzelbäumen zusehen kann. „Der Zauberer Korinthe und andere Gedichte“, einen Band von James Krüss, gab es in meinem Kinderzimmer. Beim Lesen habe ich mich manchmal gefragt, ob dem Zauberer nicht langweilig wird, wenn stundenlang niemand einen Brief schreiben will, den er verzaubern kann. Seltsamerweise kann ich mich an keines der übrigen Gedichte erinnern. Und auch ein Blick auf die lange Werkliste von James Krüss löst bei mir nur Schulterzucken aus. „Auch die jüngere Generation liest also noch Bücher, die den Namen Buch verdienen“, sagt die Kulturredakteurin, als ichmich als Freiwillige für diese James-Krüss-Seite melde. Sie meinte es als Lob. Verdient habe ich es nicht. KARIN CHRISTMANN