die taz vor 17 jahren über den spd-kanzlerkandidaten oskar lafontaine
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Der richtige Kandidat für die Bürger in der DDR. Er steht für „Aufschwung, Modernisierung und ökologischen Umbau“ – so preist der Vorsitzende der DDR-SPD, Wolfgang Thierse, Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine. Das klingt nach Pfeifen im Walde. Für Aufschwung steht bei den DDR-BürgerInnen nämlich immer noch die CDU. Und: Für den ökologischen Umbau sind sie nur schwer zu begeistern.

Oskar Lafontaine gibt sich fröhlich, das gehört zum Showgeschäft. Lange hat er überlegt, ob er als Kandidat antreten soll, wissend, daß er in der DDR so gut wie unbekannt ist. Jetzt zieht er den Wahlkampf durch und gegen Asylsuchende und Aussiedler zu Felde.

Jedes Vorhaben im SPD-Regierungsprogramm sollte genau durchgerechnet sein. Das hatte Lafontaine vor einem Jahr verkündet. Wiedervereinigung und Wirtschaftsmisere in der DDR haben ihm einen Strich durch die Kalkulation gemacht. Die gemeinsam mit der DDR-SPD nachgeschobenen Sofortmaßnahmen für die „deutschen Ostländer“ bleiben häufig vage. Wie soll zum Beispiel auf die Schnelle die „ökologisch verträgliche Kohleverstromung“ funktionieren?

Im Kapitel „Ökologischer Umbau“ drückt sich die SPD vor der Wahrheit, daß konsequenter Umweltschutz Einschränkungen für alle bedeutet. Richtige Maßnahmen wie die Erhöhung der Mineralölsteuer werden durch „Ausgleiche“ relativiert.

Auch die Ideen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf bleiben in ihren Ansätzen stecken. Rechtsansprüche auf Kindergartenplätze reichen nicht aus. Solange es keine finanzierte Arbeitszeitverkürzung für Mütter und Väter gibt, bleibt die „gerechte Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit“ Illusion.

Lafontaine behauptet, einen unterschiedlichen Politikentwurf zu dem der Konservativen vorgelegt zu haben. Die wirtschaftlichen Probleme in der DDR sind jetzt aber nur eine willkommene Ausrede dafür, daß dieser Entwurf halbherzig ist.

3. 9. 1990, Tina Stadlmayer