ortstermin
: Schwere Stunden für Dieter Bohlen

In der Reihe „Ortstermin“ besuchen Autoren der taz nord ausgewählte Schauplätze inmitten des Nachrichtenstroms

Oh Gott, die Tür geht auf. Schon zum achten Mal. Und wie die sieben Male zuvor, schnattern die Kameras der zwei Dutzend Fotografen wie aufgescheuchte Gänse. Es wird gerangelt und geboxt an diesem kühlen Montagmorgen im Amtsgericht Recklinghausen. Alle sind da: ZDF, RTL, Pro 7, N24, Agenturen – aber aus der Tür schleicht natürlich bloß wieder ein Journalist und nicht, wie dauererwartet: Dieter Bohlen. Dabei sitzt der baumrindenbraune Plattenproduzent nun, um 10.30 Uhr, schon anderthalb Stunden in Saal 125. Nicht, um sich für seine zahlreich verbrochenen Pop-Schlager zu verantworten. Sondern als Zeuge und Opfer zugleich. Aber Moment: Da geht schon wieder die Tür auf. Und? Schon wieder nichts.

Knapp neun Monate ist es her, dass Dieter Bohlen in seiner Villa in Tötensen überfallen wurde. Die maskierten Täter drohten, den Platten-Millionär umzulegen, bis der endlich Bargeld rausrückte und flüchtete. Glücklicherweise waren die Täter, zwei heute 18-Jährige aus Bochum, so freundlich, zig Spuren zu hinterlassen. Beide waren dementsprechend rasch gefasst und müssen sich nun vor der Auswärtigen Strafkammer des Landgerichts Bochum für ihren Raubüberfall verantworten.

Dass Bohlen nebst Freundin zum zweiten Prozesstag persönlich anreisen muss, um auszusagen, geht ihm gehörig auf den Sack. Das sieht man, als er um punkt neun Uhr in Sakko und Streifenhemd durch die Sicherheitsschleuse wandert. Natürlich nicht umsonst: Für jede Gerichtsstunde bekommt er 17 Euro, für jeden Autokilometer 25 Cent. Für die Portokasse.

Timo Tasche steht derweil schon seit Stunden vor dem Gebäude. In der Hand hält er eine Schranktür, das heißt: Das Stück Pressholz war früher einmal eine Schranktür, der Griff ist noch dran. Jetzt dient das Möbelstück Tasche als Schild. „Die Wahrheit“ hat er drauf gepinselt, mit Ausrufezeichen! Denn Tasche, 27, will jetzt endlich alles wissen. Vor allem, ob Bohlen den Überfall selbst inszeniert hat, wie es einer der Täter am ersten Prozesstag behauptet hat. Modern-Talking-Fan Tasche will „gewisse Anhaltspunkte“ dafür ermittelt haben. Etwa, dass die Kameras im Haus zur Tatzeit nicht angeschaltet gewesen wären, die Haushälterin nicht schon während des Überfalls die Polizei alarmiert habe usw. Aber gut, seit „Deutschland sucht den Superstar“ ist bekannt: Wo Bohlen ist, sind merkwürdige Menschen nicht weit.

Unter den gut hundert Presseleuten, die weiterhin draußen warten müssen, weil der größte Saal des Amtsgerichts Recklinghausen bloß 50 Menschen fasst, ist die Stimmung gegen 11 Uhr bombig. Gesetzt den Fall, man mag es, wenn Kameramänner „Cherry, cherry Lady“ singen. Kurz danach taucht ein Mann auf, der zunächst im Verdacht steht, eine Vollmeise zu haben – und eben gut genug ist, die Meute ein wenig von der Tür abzulenken. Der Mann trägt eine riesige rosa Sonnenbrille, eine schwarz-rot-goldene Clownsnase, einen Kartoffelsack, Deutschlandfahne und nennt sich: „Lachsack der Nation“. Er komme, sagt er und kichert, aus Solidarität mit Dieter, dem zweiten Lachsack der Nation. Was natürlich kompletter Mumpitz ist. Der Sack ist ein Lach-Yoga-Trainer aus der Nähe von Köln, der seine tägliche Dosis Aufmerksamkeit braucht. Nun hat er sie. Bis sich die Tür zur Pause öffnet und die Fotografen hinein stürmen. Ein Beobachter wortwitzt: „Jetzt töten s’en.“

Der Rest ist schnell erzählt: Die Tür öffnet und schließt sich noch gut 25 Mal. Gegen halb eins dürfen Bohlen und Freundin gehen. Sie, munkelt man draußen, habe geweint, er einen genervten Eindruck gemacht. Mit Bohlen gehen die meisten Journalisten. Aber sie werden wiederkommen: Überraschend wurde der Prozess nach fünfeinhalb Stunden auf den 21. September vertagt. Mit dabei sein wird dann ein Staatsanwalt aus Stade, der eine wesentliche Rolle bei der Ergreifung der beiden Angeklagten gespielt hatte.

Boris R. Rosenkranz