„Die Senatorin steckt in einer Zwickmühle“

Gisela von der Aue hätte die Probleme in der Jugendstrafanstalt Plötzensee offensiv ansprechen müssen, sagt Kommunikationsexperte Thomas R. Henschel. Aber sie habe es in der Öffentlichkeit auch schwerer, weil sie eine Frau ist

taz: Herr Henschel, wie bewerten Sie die Kommunikationsstrategie der Justizsenatorin in den letzten Tagen?

Thomas R. Henschel: Gisela von der Aue steckt in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite ist es richtig, dass sie sich vor ihre Justizbeamten stellt, die personell und finanziell nicht ausreichend ausgestattet sind. Gleichzeitig muss sie ihre Loyalität gegenüber dem Senat demonstrieren. Die Konsequenz darf dann aber nicht sein, Probleme gegenüber der Öffentlichkeit nicht zu kommunizieren. Hinzu kommt eine Mann-Frau-Problematik: Von der Aue zeigt Härte und verabschiedet sich von ihrem Staatssekretär, seitdem muss sie zusätzliche Prügel einstecken.

Wäre die öffentliche Wahrnehmung eine andere, wenn ein Mann Justizsenator wäre?

Die Senatorin steht vor dem Dilemma, hart durchgreifen zu müssen, dafür aber als machtbesessen zu gelten. Greift ein Mann durch, wird er für seine Führungsstärke bewundert. Frauen gelten schnell als geltungssüchtig. Von der Aue ist zudem damit konfrontiert, dass die Devise des Senates lautet: Sparen, sparen und nochmals sparen. Die Chancen, gewisse Politikstandards – gerade im Justizbereich – durchzusetzen oder beizubehalten, schwinden dadurch natürlich. Wenn führende Akteure der Regierung wie Klaus Wowereit einräumen, dass jedes Gefängnis mit Drogen zu kämpfen hat, mag das zwar stimmen, schwächt aber auch die Senatorin in der Deutungshoheit des Problemes.

Welche Strategie hätte die Senatorin verfolgen sollen?

Sie hätte gleich Donnerstag früh vor die Presse treten sollen oder sogar noch die Redaktion des ARD-Magazins kontaktieren sollen, bevor der Beitrag am Abend ausgestrahlt wurde. Die Öffentlichkeit goutiert es nicht, wenn nicht transparent kommuniziert wird.

Was heißt in diesem Fall „transparent kommunizieren“?

Es war nicht gerade förderlich, dass die Senatorin von den Zuständen in Plötzensee nichts bekannt gemacht hat, obwohl sie davon wusste und damit die Chance gehabt hätte, proaktiv mit dem Problem umzugehen. Sie hätte so früh wie möglich an die Öffentlichkeit treten müssen und sagen sollen: „Wir kennen das Problem und wir tun konkret das und das aus den und den Gründen dagegen.“ Stattdessen werden die Medien für die Krise verantwortlich gemacht und wird eher defensiv verkündet, dass die Mäusegitter, die den Schmuggel unterbinden sollen, bis Oktober angebracht werden. Natürlich dauert so etwas seine Zeit. Es muss öffentlich ausgeschrieben werden, geprüft, evaluiert und dann genehmigt werden. Die komplexen Prozesse erschließen sich aber nicht der Öffentlichkeit. Die Gitter wären vermutlich sehr viel schneller installiert worden, wenn es der Wille aller Akteure gewesen wäre.

Wie funktioniert die Kommunikation zwischen Berliner Öffentlichkeit und Politik?

Es herrscht noch vielerorts der Glaube vor, man müsse sich vor den Medien verstecken. Die Politik verhält sich teilweise gespalten. Man will Hauptstadt sein und Wichtigkeit ausstrahlen, wünscht sich aber manchmal eine Berichterstattung und eine Medienöffentlichkeit wie zu „Frontstadtzeiten“. In Westberlin war die Innenpolitik des Senates relativ uninteressant für die Medien. Wichtig wurde es nur, wenn es den Alliiertenstatus der Stadt betraf. Westberlin hatte geschlossenere Kommunikationskreise von Politik und Öffentlichkeit. Die gibt es heute nicht mehr. INTERVIEW: JON MENDRALA