Der Preis der Ostalgie

PARALLELGESELLSCHAFT Am Mittwoch wird die Goldene Henne verliehen. Der Preis zeigt, wie stark Ost und West bei der TV-Unterhaltung getrennt sind

■ Der Termin: Am Mittwoch wird zum 17. Mal die Goldene Henne, der ostdeutsche Medienpreis, verliehen. Die Sieger in den Kategorien Moderation, Film und Serie, Musik und Sport werden gekürt von den Lesern der Superillu und den Zuschauern des Mitteldeutschen Rundfunks und Rundfunks Berlin-Brandenburg. Beide Sender übertragen die Preisverleihung live ab 20.15 Uhr.

■ Der Name: Helga Hahnemann, genannt Henne, war eine der bekanntesten ostdeutschen Entertainerinnen. Sie sang Schlager, moderierte die Sendung „Helgas Top(p)-Musike“ und die Samstagabend-Show „Ein Kessel Buntes“. Hahnemann starb 1991 in Berlin im Alter von 54 Jahren an Lungenkrebs.

VON DAVID DENK

Ja gut, die Mauer ist vor mehr als zwanzig Jahren gefallen, aber zumindest im deutschen Unterhaltungsgewerbe steht sie den Zeitläuften zum Trotz immer noch wie eine Eins. Eine Wende oder gar Wiedervereinigung hat es hier nie gegeben: Der Osten guckt (auch) Westfernsehen, wohingegen der Westen höchstens aus Versehen mal kurz das in MDR umbenannte Ostfernsehen einschaltet. Und hektisch weiterzappt, als hätte er auf eine heiße Herdplatte gefasst. Denn der Mitteldeutsche Rundfunk ist wie Karneval: Wer nicht damit aufgewachsen ist, wird ihn nie verstehen. MDR-Stars wie Petra Kusch-Lück oder Peter Escher entstammen einer fremden Welt im eigenen Land, exotischer als Vietnam und doch ganz nah.

Am Mittwoch kommen alle, die im Osten weltberühmt sind, nach Berlin, zur 17. Verleihung der Goldenen Henne. „Der ostdeutsche Medienpreis“, benannt nach der 1991 verstorbenen Entertainerin Helga Hahnemann – Spitzname „Henne“ –, wird seit 1995 von der Ostille Superillu und den Fernsehsendern MDR und RBB ausgelobt. Die Wahl aber hatten auch in diesem Jahr wieder die Leser der Superillu. Die Goldene Henne ist ein Publikumspreis und stolz darauf: Wir sind das Volk – hier wird die Selbstermächtigung der Massen noch gelebt! Das erklärt solche Preisträger wie Helene Fischer (Schlagersängerin), Alexander Iljinskij (ehemaliger Intendant des Berliner Friedrichstadtpalasts) oder Eduard Geyer (Fußballtrainer). Aber im Osten mag man ja auch panierte Jagdwurstscheiben und nennt das dann „Jägerschnitzel“.

Die Ostalgie als Wesenskern der Golden Henne spiegelt sich selbst in den Preisen wider: Statt eines VW wird ein Škoda unter allen Einsendungen verlost und statt Westpralinen ein „Halloren Schoko-Jahresabo“. Es war eben nicht alles schlecht, damals im Osten. So heißt übrigens auch das Lied, das die Leipziger Deutschpopband Die Prinzen bei der Verleihung in Berlin darbieten wird. Die Grenzen zwischen Ironie und Geschichtsklitterung sind fließend.

Die einzige schon vor der Verleihung bekannt gewordene Preisträgerin ist die Schlagersängerin Andrea Berg. Die gelernte Krankenschwester aus Krefeld gehört zu den „eingebürgerten“ Weststars, die regelmäßig im MDR-Programm zu sehen sind. Das gilt auch für die Moderatorin der diesjährigen Gala: Die gebürtige Münchnerin Ruth Moschner, selbstverständlich „ein großer Henne-Fan“, wie sie im Superillu-Interview sagt, talkt seit Oktober 2010 mit Jan Hofer und Mareile Höppner auf dem MDR-„Riverboat“, dem Seelenverkäufer des deutschen Fernsehens, den nur betritt, wer zur RadioBremen-Sendung „3 nach 9“ nicht eingeladen wird.

Im April hat Robert Schneider die Chefredaktion der Superillu von Jochen Wolff übernommen, der das Heft mehr als 20 Jahre leitete und als einer der Väter der Goldenen Henne gilt. Zum Abschied würdigte der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher die Superillu als „wichtigen Beitrag zur inneren Vereinigung unseres Landes“ – eine These, die zu Widerspruch herausfordert: Hat das Burda-Magazin nicht eher durch seine ostdeutsche Nabelschau eine Parallelgesellschaft zementiert? Das aber sehr erfolgreich: Die Superillu erreicht im Osten 21 Prozent aller Menschen über 14 Jahren, nach eigenen Angaben ist das mehr als Spiegel, Stern, Bunte und Focus zusammen.

Bei der Gala in diesem Jahr wird Udo Foht fehlen, der als MDR-Unterhaltungschef jahrelang inhaltlich für die Goldene Henne verantwortlich war. Ende August wurde ihm wegen grober Verstöße gegen Dienstanweisungen fristlos gekündigt. Nur angeblich im Auftrag seines Senders hatte er sich in der Branche fünf- bis sechsstellige Beträge geliehen und bei der Tilgung geschlampt, seine Schulden teilweise gar nicht beglichen. Angepumpt hat er auch die Superillu, die ihm am Tag der Goldenen-Henne-Verleihung 2008 eine Summe in Höhe von 20.000 Euro vorstreckte und später maßgeblich zur Aufarbeitung des Falls beigetragen hat. MDR-Intendant Udo Reiter kündigte in merkwürdiger zeitlicher Koinzidenz seinen vorzeitigen Rückzug an, schon am Montag könnte Bernd Hilder, Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung, zu seinem Nachfolger gewählt werden.

Der MDR bemüht sich derweil, einen handlungsfähigen Eindruck zu machen. „Wir werden unsere ganze Kraft daran setzen, die Goldene-Henne-Gala in der gewohnten Qualität zu präsentieren“, verspricht der kommissarische Unterhaltungschef Wolf-Dieter Jacobi im Interview mit dem Mitveranstalter Superillu und kommt dann schnell auf Erfreulicheres zu sprechen: auf den Umzug der Verleihung vom Friedrichstadtpalast an ein Theater am Potsdamer Platz, an den „Schnittpunkt von Ost und West“, immerhin. Im Westen angekommen ist die Goldene Henne deswegen aber noch lange nicht.