Schönes ruhiges Gästezimmer

Die Serie: Eine Kleinanzeige und ihre Geschichte. Heute: Constantin, 60, vermietet ein Gästezimmer an Berlinbesucher

Der Inserent ist ähnlich wortkarg wie sein Inserat. Das ist der erste Eindruck von Constantin. Dementsprechend schwer fällt es, mit dem 60-Jährigen über das Gästezimmer zu sprechen, das er vermietet. Wie lange eigentlich schon? Fünf, sechs Jahre, vielleicht aber auch zehn – so genau weiß Constantin das nicht. Sein Gedächtnis sei nicht so furchtbar gut, entschuldigt er sich. Und wartet auf die nächste Frage – ohne noch mal drüber nachzudenken.

„Ich will eigentlich allein wohnen“, hat er gleich zu Beginn des Gesprächs bekannt. „Deswegen freue ich mich, wenn die Leute wieder weg sind.“ Womit er nichts gegen die Gäste gesagt haben will: „Die meisten sind prima Leute, mit denen ich gerne frühstücke.“ Und das sei kein Zufall, sondern liege an der Platzierung der Anzeige: „Die taz ist mein Filter.“ Spätestens jetzt drängt sich eine Frage auf: Warum vermietet jemand, der nicht übermäßig kommunikativ ist und am liebsten seine Ruhe hat, ein Zimmer in seiner Wohnung an Berlinbesucher?

„Ich brauche die Kohle nicht, ich könnte mir die Wohnung auch so leisten“, stellt Constantin, Inhaber eines Kreuzberger Fahrradladens, klar. Das gebe ihm die Freiheit, auch Gäste abzulehnen, sagt er. Was er jedoch noch nie gemacht habe.

Seine Einkommensverhältnisse hätten allerdings auch mal anders ausgesehen, wesentlich schlechter. Durch die Sanierung vor einigen Jahren sei seine Kreuzberger Altbauwohnung größer geworden als für eine Person nötig und für seinen damaligen Geldbeutel möglich, aber ausziehen kam für Constantin nicht in Frage – allein wegen des Spreeblicks vom Küchentisch aus, von dem nun auch seine Übernachtungsgäste profitieren, die an der Schwelle zu seiner „Junggesellenwohnung“ („Ich putze nicht jeden Tag“) ihre Schuhe ausziehen müssen. Mehr Hausordnung gibt es nicht. Mittlerweile wohnt Constantin seit 30 Jahren an der Köpenicker Straße und zahlt etwa 600 Euro Miete. Einige Zahlen hat er also doch auf Anhieb parat.

Dass er sich über die Preise für eine Übernachtung in seinem schlicht, aber gemütlich eingerichteten Gästezimmer ausschweigt, liegt auch nicht an seinem schwachen Zahlengedächtnis, sondern am Finanzamt. Nur rund 200 Euro nimmt Constantin durch die Vermietung im Monat ein, weil er kaum Werbung macht – außer eben in der taz. Doch das Finanzamt, so befürchtet er, würde gleich davon ausgehen, dass er damit große Reichtümer anhäuft – am Fiskus vorbei. Deswegen hält er sich lieber bedeckt, was die Übernachtungspreise angeht. Nur so viel verrät er: „Es gibt Rucksacktouristen, die mich am Telefon beschimpfen, weil es ihnen zu teuer ist. Es gibt aber auch Leute, die sofort zusagen.“

Die meisten seiner Gäste sind mittleren Alters und besuchen in Berlin Messen und Kongresse oder aber ihre erwachsenen Kinder. Constantin hat die Erfahrung gemacht, dass viele lieber bei ihm wohnen, „weil sie ihren Kindern nicht zur Last fallen und unabhängig bleiben wollen“. Touristen wie die junge Witwe vom Land, die in Berlin einen Mann gesucht hat, sind die Ausnahme. Er habe den Eindruck gewonnen, dass sie fündig geworden ist, sagt Constantin. Gefragt hat er sie natürlich nicht: „Ich glaube, meine Gäste schätzen an mir, dass ich so diskret bin.“

Einige Stammgäste habe er schon, erzählt Constantin, einer habe ihm auch schon mal einen Artikel aus einer Fachzeitschrift kopiert und zugeschickt. Doch Freundschaften seien nicht entstanden – warum auch? „Ich habe genügend private Kontakte“, sagt Constantin.

Womit wir wieder bei der Frage wären, warum jemand, der nicht übermäßig kommunikativ ist und am liebsten seine Ruhe hat, ein Zimmer in seiner Wohnung an Berlinbesucher vermietet. Das weiß Constantin selber auch nicht so genau. „Ich habe mich daran gewöhnt“, sagt er. Und: „Es gehört zu meinem Leben. Deswegen mache ich einfach weiter.“ DAVID DENK