Schwellenländer geißeln Europa und die USA

SCHULDENKRISE Der Westen handle unentschlossen und verantwortungslos. Die EU will einen Club der Reichen gründen

„Anders als in den USA ist in Europa der Anleihenmark zerstückelt“

EU-KOMMISSARIN VIVIANE REDING

BERLIN/WASHINGTON afp/rtr/ taz | Konkrete Vorschläge zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise sind von der diesjährigen Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank zwar nicht zu erwarten. Und dennoch: Was sich auf dem zweitägigen Treffen abspielt, stellt eine Zäsur dar. Nicht mehr die Schwellen- und Entwicklungsländer sind wie noch vor gar nicht allzu langer Zeit die Bittsteller bei den beiden mächtigen UN-Institutionen. Die alten Industrieländer bitten nun um Hilfe.

„Das Epizentrum der Krise ist dieses Mal die Europäische Union“, kritisiert ganz unverhohlen Brasiliens Finanzminister Guido Mantega. Und er vergisst auch nicht zu ergänzen, dass vor drei Jahren die US-Amerikaner die Hauptverantwortung für die schwere Krise trugen. Mantega steht mit seiner Einschätzung nicht allein da. Die Minister und Notenbankchefs aller großen Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika (Brics) nicken zustimmend. In einer gemeinsamen Erklärung der Brics lautet der Befund: Die Angeklagten handeln nicht entschlossen genug, nicht schnell genug, nicht gemeinsam genug und letztlich verantwortungslos. Besonders geißeln sie die Politik des billigen Geldes. Die US-Notenbank würde die Welt derzeit mit Liquidität fluten, die wiederum massive Kapitalströme in die wachstumsstarken Schwellenländer leiteten. Hohe Inflation und gefährliche Vermögensblasen seien die Folgen, die zu platzen drohten. Was die da tun, sei „hypergefährlich“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung.

US-Finanzminister Timothy Geithner muss selbstkritisch eingestehen: Die größten Risiken für die Weltwirtschaft liegen in den angestammten Industrieländern. Zudem räumt Geithner mangelnde Führungsqualitäten der Europäer und der Amerikaner ein. Der politische Streit über den richtigen Weg beiderseits des Atlantiks verhindere eine entschlossene und abgestimmte Krisenbekämpfung, trotz der unbestrittenen Bedrohung. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vermied es zwar, direkte Kritik zu üben. „Wir erteilen anderen keine Ratschläge.“ Allerdings nennt Schäuble zugleich die Staatsverschuldungen als „eine der Hauptursachen der Krise“ und weist darauf hin, dass sie in Deutschland nicht am höchsten sei.

Einen neuen Vorstoß zur Krisenbewältigung hat indes EU-Vizekommissionspräsidentin Viviane Reding gestartet. In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung schlug sie vor, dass nur Deutschland und die Euroländer mit der höchsten Kreditbewertung AAA gemeinsame Staatsanleihen ausgeben sollen. Im Gegensatz zu dem großen Anleihenmarkt der USA sei in Europa „alles zerstückelt“, bemängelte sie. Deswegen könne man auch einzelne Staaten leichter angreifen. Zugleich betonte die Luxemburgerin, dass sie einen solchen Verbund nicht als geschlossenen Klub verstehe. „So ein Anleihenmarkt müsste offen sein für andere EU-Staaten“, sagte sie. Er könnte stabilisierend eingreifen. Das wäre dann ein Kerneuropa, das entwicklungsfähig sei. Das Bundesfinanzministerium lehnte ihren Vorstoß aber umgehend ab.

Trotz dieser starren Haltung – die Diskussion um derartige Eurobonds dürfte noch lange nicht vom Tisch sein. EU-Währungskommissar Olli Rehn kündigte an, dass er im Oktober eine Studie solcher gemeinsamer Anleihen aller Euroländer veröffentlichen werde. Im Moment würden innerhalb der Kommission verschiedene Varianten für Eurobonds diskutiert, teilte eine Kommissionssprecherin mit. In diesem Zusammenhang sei auch der Vorschlag Redings zu sehen. F. LEE D. HAHN