Geburtshäuser als Vorbild

Als vor zwanzig Jahren die ersten Geburtshäuser in Deutschland entstanden, waren sie stark umstritten. Heute lernen Kliniken von ihnen. Für viele Frauen sind Geburtshäuser dennoch eine wichtige Alternative zur sterilen Atmosphäre in Krankenhäusern

Geburtshäuser bieten Vertrautheit in einer absoluten Ausnahmesituation

VON CHRISTOPH RASCH

Eine Erfahrung wird Ursula Rebenstorf nicht vergessen: „Die halbe Geburtsarbeit“, sagt die zweifache Mutter aus Berlin-Kreuzberg, „findet im Kopf statt.“ Das muss sie schon 2004 geahnt haben, damals kam ihr erstes Kind. Die Mittdreißigerin gehört zu den paar tausend Frauen, die sich für eine Entbindung in einem der Berliner Geburtshäuser entschieden.

Bis heute ist sie froh über diese Wahl: Ihre beiden Hebammen im Kreuzberger Geburtshaus „waren beherzt, kompetent und haben mir immer das Gefühl gegeben, dass ich selbst die Geburt steuere“, sagt Rebenstorf heute.

Geburtshäuser, in denen ausschließlich speziell ausgebildete Hebammen die Geburt begleiten, gibt es inzwischen ein paar Dutzend im ganzen Bundesgebiet und weit über hundert in Europa. Ihren Anfang nahm diese „Bewegung“ vor 20 Jahren.

Im Februar 1987 öffnete am Klausenerplatz in Berlin-Charlottenburg das deutschlandweit erste Haus dieser Art nach dem Vorbild der nordamerikanischen „Birth Center“ – als Alternative zur zunehmenden Technisierung bei Schwangerenvorsorge und Geburtshilfe und gegen schulmedizinisches Schubladendenken, das einen Großteil der Schwangerschaften als „Risiko“ einstuft. Dem setzen Geburtshäuser das Wohlbefinden der Frauen und eine enge Betreuung durch Hebammen entgegen – damals noch unter heftiger Kritik und mit Warnungen von Gynäkologen und Kinderärzten.

Mehr als 4.000 sanfte Geburten später hat die Westberliner Pioniereinrichtung ihren angestammten Platz im Kiez verlassen. Wir treffen eine der zehn Charlottenburger Hebammen, Christine Schuppe, während der letzten Renovierungsarbeiten im neuen Domizil: Seit August ist das Geburtshaus Charlottenburg in einem großzügigen Ziegelbau direkt am DRK-Klinikum Westend untergebracht.

Der Umzug hat seinen Grund. „Die Frauen wollen möglichst kurze Wege ins Krankenhaus, falls die Geburt doch schwieriger wird“, sagt Schuppe, die wie ihre Kolleginnen in 24-Stunden-Rufbereitschaft arbeitet. Über einen Korridor gelangt man innerhalb von einer Minute in die Klinik. Die Frage: „Was passiert, wenn doch etwas schiefläuft?“, ist bei Frauen noch immer der häufigste Vorbehalt gegen Geburtshäuser.

Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO zeigte zwar, dass Geburtshausgeburten nicht riskanter sind als solche in Kliniken. Doch bei etwa zwei bis drei Geburten pro Jahr sei eine Verlegung in ärztliche Betreuung tatsächlich geboten. „Falls dies nötig wird, können wir jetzt noch schneller handeln“, sagt Schuppe.

Diese neue Nähe ist symptomatisch: Kranken- und Geburtshäuser setzen mehr denn je auf Pragmatismus und Zusammenarbeit – selbst bei Geburtsverlegungen in die Klinik begleiten die Charlottenburger Hebammen die werdenden Mütter. Viele Kreißsäle sind heute von der menschlichen Atmosphäre der Geburtshäuser inspiriert. Und selbst die Krankenkassen erstatten den Eltern inzwischen meist die paar hundert Euro Betriebskosten, die bei einer Entbindung in einem Geburtshaus anfallen.

Dennoch: Weit über 90 Prozent der Geburten finden hierzulande noch immer in Krankenhäusern statt. Die reine Hebammengeburt hat zwar ihr Räucherstäbchen-Image verloren, ist aber nach wie vor ein Nischenangebot. Insgesamt wächst die Nachfrage aber leicht.

Christine Schuppe arbeitet seit 20 Jahren als Hebamme, 15 davon in Charlottenburg. Nach unzähligen Geburten und Beratungsgesprächen macht sie zwei Tendenzen aus: Immer mehr Frauen wünschen sich eine selbstbestimmte Geburt, bei der sie zum Beispiel über die beste Gebärhaltung entscheiden können, und sie wollen keine unnötigen Medikamente. Zugleich aber reagierten viele Frauen „immer ängstlicher“ in Sachen Gebären, seien fixiert auf mögliche Gefahren und Schmerzen: „Einfach nur guter Hoffnung zu sein ist heute selten geworden“, sagt die Hebamme, die selbst zwei Kinder hat.

Ursula Rebenstorf gehört zur erstgenannten Gruppe, ihr fiel die Entscheidung damals leicht: Ihr Kind Eva sollte – wie später ihr zweites – im Geburtshaus zur Welt kommen, „die Erlebnisse von Freundinnen bei Klinikgeburten hatten mich abgeschreckt“, sagt sie: Fehlende Privatsphäre und wenig einfühlsames Personal. „Und medizinische Eingriffe bis hin zu Dammschnitt und der Rückenmarksbetäubung PDA helfen zwar gegen Schmerzen, machen mich als Mutter aber auch unmündig im Geburtsprozess.“

Die Entbindung im Geburtshaus begann stattdessen mit Entspannen in der Badewanne. Eine der Hebammen plauderte in den Wehenpausen mit Rebenstorf über exotische Reiseziele, lenkte ab und schaffte immer neue Gesprächssituationen in den heftigen Geburtsphasen, „wo man sich nur noch auf eine Stimme konzentriert“. Händchenhalten in gemütlichen Räumen, mit Kerzen und gedämpftem Licht. „Das wird manchmal belächelt“, sagt Rebenstorf, „ist aber unglaublich wichtig, weil es Vertrautheit in einer absoluten Ausnahmesituation gibt“. Und dann, in der „Austreibungsphase“, entspannten mit Kaffee getränkte Kompressen das belastete Gewebe.

Elf Stunden später war die kleine Eva wohlbehalten auf der Welt. Eine anstrengende Geburt, aber eben auch keine riskante Unternehmung. Bei allem Lob für das Geburtshauskonzept – mit Empfehlungen im Bekanntenkreis hält Ursula Rebenstorf sich bewusst zurück: „Jede Frau sollte einfach genau wissen, worauf sie sich dabei einlässt.“

Damit sich niemand falsche Vorstellungen macht, legen Geburtshäuser großen Wert auf intensive Vorbereitung. In Charlottenburg etwa finden neben den persönlichen Beratungen und offenen Info-Abenden wöchentliche Kurse für werdende Eltern statt, sogar auf Englisch, Spanisch oder Türkisch. Eine Geburt findet nun mal zum großen Teil im Kopf statt – schon lange vor dem Entbindungstermin.