Verständnis mit Einschränkungen

REAKTIONEN In der Bundesregierung kann einzig Justizminister Maas eine überregionale Bedeutung des Dresdner Demonstrationsverbots sehen. Kipping: Demokratie kann nicht durch ihre Einschränkung verteidigt werden

„Wenn es ernsthafte Hinweise auf Anschläge in ganz Dresden geben sollte: Warum sind dann alle Bahnhöfe und Einkaufszentren geöffnet?“

MICHAEL NATTKE, KULTURBÜRO SACHSEN

VON
MARTIN KAUL UND ANJA MAIER

BERLIN taz | Die Kanzlerin ließ keinen Zweifel. Sie habe, sagte Angela Merkel am Montag in Berlin, „unbeschadet ob mir die Inhalte gefallen, ein Interesse daran, dass an jedem Ort in Deutschland demonstriert werden kann“. Die Demonstrationsfreiheit müsse „so weit wie möglich geschützt sein“. Wenn der Bund gebeten werde, werde auch er natürlich dafür Sorge tragen.

Anderthalb Stunden zuvor hatte noch diffuse Unklarheit geherrscht. An diesem Montag, der durch das Untersagen sämtlicher Demonstrationen in Dresden zu einem besonderen Tag in der Demokratiegeschichte der Bundesrepublik geworden war, wollten die Medien wissen, wie die Kanzlerin zur Entscheidung der sächsischen Versammlungsbehörde steht. Merkels Sprecher Steffen Seibert argumentierte in der Bundespressekonferenz nahezu wortgleich wie seine Chefin: Das Recht auf Versammlungsfreiheit sei ein hohes Gut, eine angemeldete Demonstration zu untersagen sei „ein Schritt, den man in Deutschland möglichst selten vollziehen möchte“.

Nach großem Verständnis für die Entscheidung klang das eher nicht. Auch das Innenministerium bemühte sich, das Verbot als allein sächsische Angelegenheit darzustellen. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hingegen erkannte sehr wohl eine überregionale Bedeutung. „Auch wenn es für die Einzelfallentscheidung der Sicherheitsbehörden in Dresden sicher gute Gründe gab“, sei Protest, soweit er nicht gegen das Gesetz verstoße, durch die Meinungsfreiheit gedeckt, erklärte Maas.

Katja Kipping, Chefin der Linkspartei und geborene Dresdnerin, sagte, die Demokratie könne nicht durch ihre Einschränkung verteidigt werden. Durch das Versammlungsverbot gerate in Vergessenheit, dass Pegida in Dresden seit Wochen Angst und Schrecken verbreite.

Der Grünen-Politiker Christian Ströbele forderte Aufklärung im Parlamentarischen Kontrollgremium. Der taz sagte er, er werde das Thema bei der nächsten Sitzung des Gremiums auf die Tagesordnung setzen und erwarte einen Bericht. „Inwieweit diese umfassende Maßnahme gerechtfertigt war, lässt sich nur beurteilen, wenn die Fakten bekannt sind.“ Ströbele äußerte auch Verständnis für Vorbehalte gegenüber der Polizei. „Angesichts der langen Geschichte von Fehlverhalten der sächsischen Behörden ist es zumindest nachvollziehbar, dass viele Bürger Zweifel an der Begründung für ein so umfassendes Demonstrationsverbot haben.“

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte der taz, als Ministerpräsident wolle er die Entscheidung Sachsens nicht kommentieren. „Als politischer Mensch sage ich aber, dass die Demonstrationsfreiheit ein unveräußerliches Grundrecht ist. Deshalb bedrückt mich die Entscheidung sehr.“

Kritik an der Allgemeinverfügung gab es auch vonseiten des Bündnisses „Dresden Nazifrei“, das am Montagabend gegen Pegida demonstrieren wollte. „Wir werden das Gefühl nicht los, dass hier versucht wird, ein für die Polizei existierendes logistisches Problem namens Pegida mit dem Mittel des Verbots zu lösen“, hieß es in einer Mitteilung.

Elke Steven, Sprecherin des Komitees für Grundrechte und Demokratie, sagte: „Ein Gesamtverbot für die gesamte Stadt ist völlig unverhältnismäßig und hätte vor Gericht keinen Bestand.“ Und Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen kritisierte, „dass mit dem unverhältnismäßigen Polizeibeschluss politische Meinungsäußerungen unterbunden werden sollen, indem allein politische Versammlungen verboten werden“. Wenn es ernsthafte Hinweise auf Anschläge in ganz Dresden geben sollte, frage er sich, warum dann alle Bahnhöfe und Einkaufszentren geöffnet seien.