Ein fränkisches Modell für die Pflege

Mit der Pflegereform sollen „Pflegestützpunkte“ entstehen, in denen Menschen einen Überblick über die Angebote erhalten. Was sich hinter dem Wortungetüm verbirgt, lässt sich in Nürnberg besichtigen. Dort wird das Konzept seit sieben Jahren erprobt

Der Gesetzentwurf zur Pflegereform soll noch in diesem Jahr in den Bundestag eingebracht werden, die Reform Mitte 2008 in Kraft treten. Im Entwurf von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sind unter anderem „wohnortnahe Pflegestützpunkte“ geplant, in denen „Pflegebegleiter“ („Case Manager“) die Menschen bei der Wahl der passenden Betreuung unterstützen. Ein Pflegebegleiter soll auf 80 bis 100 Pflegebedürftige kommen. Kritik kommt aus Reihen der Union: Fraktionsvize Wolfgang Zöller (CSU) befürchtet „Bürokratieexzesse“. Streit gibt es auch darüber, wo die Pflegebegleiter angesiedelt sein sollen, ob bei den Kassen, den Anbietern oder bei neutralen Stellen. WOS

AUS NÜRNBERG WOLF SCHMIDT

Die Pflege der Zukunft ist 46 Jahre alt. Und sie mag Grün. Cornelia Trippel trägt eine grüne Halskette zur grünen Bluse, um die Hüfte einen grünen Pulli. Passend zu ihren hellgrünen Augen.

Dass Trippel die Zukunft der Pflege verkörpert, liegt an ihrem Job. Krankenschwester und Pflegedienstleiterin war sie einmal. Seit vier Jahren arbeitet Trippel als „Case Managerin“. Und das in einer Einrichtung, die einst ein Modellprojekt des Familienministeriums war und heute unter Experten als Vorbild gilt: „Home Care Nürnberg“.

Fragt man Cornelia Trippel, was genau sie und ihre beiden Kolleginnen machen, sagt sie: „Probleme lösen.“ Trippel hilft Menschen, den Überblick im Pflegedschungel zu behalten. Wo gibt es was zu welchem Preis? Wer kann Essen liefern? Wer die Wohnung umbauen? Welche Heime gibt es? Oder würde es reichen, wenn ein Pflegedienst nach Hause kommt? „Zur Not vermitteln wir auch jemanden, der den Hund Gassi führt“, sagt Trippel.

Geht es nach der Regierung, gibt es bald in ganz Deutschland Menschen wie Cornelia Trippel. Mit der Pflegereform sollen „wohnortnahe Pflegestützpunkte“ entstehen, in denen „Pflegebegleiter“ die Menschen beraten (s. Kasten) – genau das macht „Home Care“ seit sieben Jahren.

Am heutigen Vormittag arbeitet Trippel im Büro in Bahnhofsnähe, an einem Stehpult nimmt sie Anrufe entgegen. Eine Ärztin berichtet ihr von einer Patientin, die an der Hüfte operiert wird und sich deshalb nicht um ihren pflegebedürftigen Mann kümmern kann. Trippel will nun schauen, wo die günstigste Kurzzeitpflege angeboten wird.

Auch das ist eine Besonderheit: Die Beratung wird von einem Netz von rund 180 Ärzten finanziert. Anlaufstelle sind darum auch die HausärztInnen: Sie vermitteln die Patienten oder deren Angehörige an Trippel weiter – alles kostenlos.

Einer von Trippels Klienten ist Norbert Kruse, 54, den sie in einem mehrstöckigen Mietshaus im Stadtteil Schoppershof besucht. Kruse hatte einen Schlaganfall, seitdem sitzt er im Rollstuhl. Da er nicht mehr schlucken kann, steckt eine Kanüle in seiner Luftröhre, das Sprechen übernimmt ein Minicomputer.

Kruses Hausarzt hatte vor zwei Jahren Trippel eingeschaltet. „Wir waren allein, niemand hat mir gesagt, was uns zusteht“, erinnert sich Kruses Partnerin, die 64-jährige Marga Reck. Trippel vermittelte Kruse ein Therapeutenteam. Und einen Pflegedienst, der dreimal die Woche kommt. Den Rest übernimmt Lebensgefährtin Reck.

Dieses Mal ist Cornelia Trippel hier, weil Kruse mit seiner Logopädin nicht zurechtkommt. „Wenn die Chemie nicht stimmt, müssen wir jemand anders suchen“, sagt Trippel. Kruse nickt zufrieden. Er ist gut gelaunt, am Morgen hat er erfahren, dass er in Reha gehen darf. Die Kasse hatte zunächst abgelehnt, dann kam doch noch die Zusage – auch hier hat Trippel geholfen.

Nicht immer klappt alles so gut. Zurück im Büro, bekommt die Case Managerin einen Anruf von einem Mann, seine Mutter ist dement, der Zustand hat sich rasch verschlechtert. „Ach Gottle“, sagt Trippel am Telefon und zeigt die Möglichkeiten auf: Ein Pflegedienst könnte täglich kommen, die Versorgung bei Nacht wäre aber sehr teuer. Auch eine polnische Haushaltshilfe könnte sie vermitteln, legal, versteht sich. Falls es nicht anders geht, gebe es zwei Heime für Demenzkranke. Zunächst könne man die Mutter aber auch für kurze Zeit ins Krankenhaus bringen.

Nach dem Anruf ist Cornelia Trippel nicht ganz zufrieden. „Wir sind leider oft die Feuerwehr“, sagt sie. „Besser, man ist dran, bevor es brennt.“ Das wäre in diesem Fall auch möglich gewesen: Der Mann hatte schon vor einem Monat Trippels Telefonnummer bekommen.

So zukunftsträchtig das Konzept ist, mit einer Idee lagen die Nürnberger daneben. Ursprünglich sollten Pflegebedürftige auch einen Decoder ins Wohnzimmer gestellt bekommen, um sie sich per Fernseher über Angebote in ihrer Nähe informieren zu können. Doch die Telepflege floppte. Trippel glaubt: „Wir waren wohl unserer Zeit voraus.“