Skate und sprich darüber

Der Regensburger Jürgen Horwarth ist Europameister im Skaten, liebt Berlin und möchte gerne seine Tricks bei Olympia 2012 in London zeigen. Doch um dahin zu kommen, muss der 30-Jährige noch viel PR-Arbeit in eigener Sache leisten. Den ersten Schritt hat er bereits getan – in Kalifornien

Horwarth ist Manager und Sekretär in einem. Werbedeals fädelt er selbst ein

VON ROBERT RIST

Jürgen Horwarth sieht aus wie eine Mischung aus surfenden California Beach Boy und Skateboarder par excellence: knapp 1,80 Meter groß, weite Baggie Pants, überlanges T-Shirt, Cap. So weit, so angemessen für den wohl erfolgreichsten Profi-Skateboarder Deutschlands. Das Einzige, was nicht ganz ins Bild passt, ist seine abgeklärte und organisierte Art: Sie erinnert eher an einen Bänker. Das liegt wahrscheinlich daran, dass er lange gekämpft hat. Gekämpft, um Spaß haben zu können. Gekämpft, um akzeptiert zu werden.

Anfang August gewann er einen Europameistertitel im Skateboard fahren. Bowl nennt sich die Disziplin, und den Titel holte er nicht zum ersten Mal. „Bowl kann man sich wie ein abgerundetes Schwimmbecken vorstellen. Darin fährt man dann mit seinem Board und macht Tricks, so ähnlich wie auf der Halfpipe“, erklärt er.

Doch Skateboardfahren funktioniert ähnlich wie Eiskunstlaufen: Die Schiedsrichter haben das entscheidende Wort über Sieg oder Niederlage. „Fünf Jahre habe ich gebraucht, um von den Schiedsrichtern international überhaupt wahrgenommen zu werden“, erklärt er mit leichtem Groll in der Stimme.

Dafür ging er unter anderem ein halbes Jahr nach Kalifornien, kam in die Szene rein und redete auf Partys viel mit den tonangebenden Skatern. PR in eigener Sache nennt er das. Und darin ist er ziemlich talentiert. Ihm ist schon früh klar geworden, dass man sich als Profi in der Individualsportart Skateboarding nur über Sponsoren den Lebensunterhalt und ein wenig Luxus leisten kann.

Jürgen Horwarth sitzt lässig am Tisch des Cafés im Cassiopeia-Skatepark in Friedrichshain, einem seiner Berliner Lieblingsplätze, und lässt sich die Sonne auf den Kopf scheinen. Der durchtrainierte 30-jährige schlürft entspannt an seinem Milchkaffee. Um ihn herum herrscht ein kleines Chaos aus trainierenden Skateboardern und BMX-Fahrern und Organisatoren.

Horwarth ist Manager und Sekretär in einem. Seine Werbe-Deals fädelt er selbst ein, „obwohl mir ein Manager mehr Geld heraushandeln könnte und mir der ganze Papierkram ganz schon auf die Nerven geht“. Es ist auch seine Umtriebigkeit, die ihn bisweilen wie einen Bänker erscheinen lässt. Alte Skateboard-Weggefährten beschreiben ihn ihn als nett, aber unnahbar. „Wahrscheinlich, weil er in einer anderen Liga fährt“, vermuten sie. Dabei sieht er sich selbst als ein Teil der Szene. Skateboarding ist für ihn das Ausleben seiner Individualität. Ihn reize besonders „der Hardcore-Aspekt, dieser ganze Korpsgeist, dass Skateboarding nicht für die breite Masse ist, sondern ein Individualsport, gepaart mit Anarchie, Punkrock und Rock ’n’ Roll“.

Zum ersten Mal lernte er diese „Skateboard-Familie“, wie er sie bezeichnet, mit 14 Jahren kennen. Damals kaufte er sich mit seinen Freunden ein Deutschlandticket für die Bahn und fuhr in einem Monat quer durch Deutschland von Freiburg bis Sylt, nur um Orte zum Skaten zu finden. Er schlief bei unbekannten Leuten und wollte nicht mehr aufhören zu boarden. Dabei ließ er sich durch das Gruppengefühl der Skateboarder anstecken: „Es ist unglaublich. Man macht etwas Gemeinsames und fühlt sich verbunden.“ In dieser Zeit zeigte sich auch eine seiner ausgeprägtesten Eigenschaften, die ihn heute noch treibt: die Perfektion. Entweder ganz oder gar nicht, das war oft das Motto in seinem Leben.

So etwa vor acht Jahren, als seine Freundin zum Studium nach Berlin ging, und er sich mutig und entschlossen dafür entschied, seinen gut bezahlten Job als Grafikdesigner in einer Frankfurter Werbeagentur aufzugeben. „Entweder versuche ich es jetzt oder ich beiße mir in zehn Jahren in den Arsch“, beschreibt er seine damaligen Gefühle.

Perfekt kombiniert hat er seine Leidenschaft zum Sport mit dem Geldverdienen. Dass er für seinen Weg den Geist der Skateboarder umgehen muss, ist für ihn kein Widerspruch. Er ist da ganz Realist: „Im Underground haben wir es jahrelang versucht, ernst genommen zu werden. Es hat nicht funktioniert“, sagt er abgeklärt. „Also müssen neue Wege her.“ Horwarth unterstützt auch die Pläne, dass Skateboarding ab 2012 olympisch wird, und würde gerne an den Spielen teilnehmen. Er zeigt sich nämlich gerne in der Öffentlichkeit: „Egal ob Kampfstricken oder Speed-Häkeln, Olympia ist geil.“

Akzeptiert ist er trotzdem in der Skateboard-Szene. Der Großteil seines Freundeskreises besteht aus Skateboardern, die quasi auch Arbeitskollegen sind. Auf dem alten Fabrikgelände an der Revaler Straße in Friedrichshain hat er mit Freunden neben der Kletterwand, dem Club und dem Biergarten den Skatepark im Komplex Cassiopeia errichtet: eine Halle mit Half-Pipes, die für internationale Wettbewerbe tauglich ist.

Der Fachabiturient in Holztechnik war maßgeblich bei Planung und Konstruktion des Skate-Parks beteiligt, die Half-Pipes baute er mit seinen Händen. Geschickte PR-Maßnahmen wie Videos drehen, Fotoshootings und selbstständig Skateboards designen bestimmen sonst seinen Alltag. Er handelt aber nicht nur aus Eigennutz, sondern möchte sein Wissen über das Skateboarden „nicht mit ins Grab nehmen“ und seine Erfahrungen weitergeben. Zurzeit gibt er Skatekurse für Kinder. Sein Wunsch nach einer Familie mit Kindern wirkt da wie Wunschdenken – wann soll er denn dafür noch Zeit finden?