berliner szenen Ein Zwerg rast

Dackel vs. Klein-Zinda

Es ist fast ein Jahr her. Im Tiergarten, auf der kleinen Brücke beim netten Lokal „Schleusenkrug“, stauen sich samstags die innerstädtischen Ausflügler: Männer, Frauen, Kinder jeden Alters. Zu Fuß, mit Fahrrad, am Stock. Kommt eine Kleinfamilie, bestehend aus einer jungen Mutter mit einer riesenhaften Sonnenbrille und einem puderblauen Kinderwagen sowie einem kläffenden Dackelmischling, der nicht angeleint ist. Die Hündin Klein-Zinda, die neben mir geht und deren Leine ich in der Hand halte, gerät außer sich vor Wut. Sie bellt ihr provokantes Kläffkläffwuffgrrrr. Hunde sind so.

Der Dackel ist schon nah. Bleckt die Zähne. Ich schreie, wieso holt die Tussi nicht diesen Dackel-oder-was-das-ist. Doch sie glotzt nur, aus sicherer Distanz , aus schwarzen Insektenaugen. Sie nimmt die Sonnenbrille nicht ab, schiebt den Kinderwagen nicht langsamer, tut, als gehe alles, was passiert, sie nichts an. Ihr Köter will derweil an Klein-Zinda ran. Ich drängle mich dazwischen, verpasse dem blutrünstigen Minimonster ein Schimpfwort und ein entschlossenes Wedeln mit meiner Tasche. Umsonst. Während Klein-Zinda hinter mir Schutz sucht, kriege ich den rasenden Zwerg voll ab. Ins Bein, in die Wade, gleich unterm Knie. Ich wusste nicht, dass auch kleine Hunde relativ große Eckzähne haben können. Die reißen flugs ein Stück Fleisch raus. Dann trottet das Vieh befriedigt von dannen. Die Umstehenden tun, als hätten sie nichts gesehen. Die Heilung dauerte drei Monate mit häufigem Verbandwechseln.

Gestern traf ich die Tussi wieder. Ohne Sonnenbrille, ohne Dackel. Sie sah mich, erblasste und schob ihren Kinderwagen in Windeseile davon. Manchmal macht ja nur das schlechte Gewissen der anderen schon glücklich. GISELA SONNENBURG