Kiel hat die Killerkeime

ERREGER Krank rein, kränker raus. Über 30 Menschen haben sich im Kieler Uniklinikum inzwischen mit Krankenhauskeimen angesteckt. Angeblich lief alles nach Vorschrift. Und nun?

KIEL taz | Die Zahl wirkt erschreckend: 31 PatientInnen des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Kiel haben sich inzwischen mit einem multiresistenten Keim angesteckt. Einige von ihnen wurden zwar bereits wieder als gesund entlassen – doch auch bei zwölf Menschen, die in den vergangenen Tagen in dem Krankenhaus starben, fanden Ärzte den Keim Acinetobacter baumannii. Geht es nach den Ärzten, so soll der gefürchtete Krankenhauserreger in höchstens drei dieser Fälle eine Mitschuld am Tod tragen. Dennoch: Die Zahl der Betroffenen hat sich seit dem ersten Bekanntwerden des Keimausbruchs am Freitag mehr als verdoppelt, so der Chefarzt der Klinik, Jens Scholz.

Neben den bereits Infizierten lagen am Dienstag weitere sechs „Kontaktpatienten“ im Klinikum, die bisher negativ auf den Erreger getestet wurden und nun unter Kontrolle stehen.

Ein 74-Jähriger, der in seinem Türkei-Urlaub erkrankt war und in die Klinik überwiesen wurde, brachte den Keim vermutlich mit. „Wir haben ihn als Risikopatienten aufgenommen“, sagte Chefarzt Scholz. Resistente Erreger seien in vielen Ländern verbreitet, die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung also groß.

Doch: Da kein Einzelraum frei war, kam der Mann in ein Mehrbettzimmer. Bis die Tests ergaben, welchen Keim er hatte, war der Erreger bereits auf andere Schwerstkranke übergesprungen.

Das hätte durch die Isolierung vermieden werden können, sagte dazu Fachmediziner Christian Brandt, den das Klinikum im Kampf gegen den Erreger zur Hilfe gerufen hat. Der Hintergrund ist: Weil die Tests mehrere Tage dauern, müssten Krankenhäuser quasi aus Isolierstationen bestehen – um vorsorglichen Schutz vor einer Infektion durch Kontakte mit anderen Patienten auch wirklich zu gewährleisten. Brandt erklärte also, die Klinik habe in der Notfallsituation korrekt gehandelt und habe wenig andere Optionen gehabt.

In Schleswig-Holstein ist allerdings längst eine Debatte über die Krisenpolitik der Universitätsklinik entbrannt. Die Opposition im Landtag kritisiert, die Bevölkerung und das zuständige Gesundheitsministerium seien zu spät informiert worden. Die Gewerkschaft Verdi hält die Arbeitsbedingungen im Klinikum, das seit Jahren mit Schulden und Sanierungsstau kämpft, für den Grund des Keimausbruchs. Klinikchef Jens Scholz weist das dagegen zurück. Er sagt: Es handle sich um einen „medizinischen Schicksalsschlag“.

ESTHER GEISSLINGER