„Das ist alles sehr improvisiert“

BUNDESWEHR IN AFRIKA II In Somalia versucht eine kleine Gruppe deutscher Ausbilder, aus Clankämpfern Soldaten zu machen. In der Hoffnung, dass sie hinterher nicht samt Waffen und Wissen desertieren

■ Afrikanische Union: In Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba kommen ab heute die Staatschefs des Kontinents zu ihrem halbjährlichen Gipfel zusammen. Ganz oben auf der Agenda steht der Kampf gegen islamistische und andere irreguläre Milizen – Boko Haram in Nigeria sowie die FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) in der Demokratischen Republik Kongo. In diesen beiden Ländern gehen die Regierungsarmeen bisher nicht entschlossen genug gegen die bewaffneten Gruppen vor, und grenzüberschreitende Kooperation versandet in politischem Streit.

■ EU-Ausbildungsmissionen: In Mali und Somalia stehen EU-Missionen unter UN-Mandat, die die lokalen Armeen zum Kampf gegen bewaffnete Gruppen „ertüchtigen“ sollen. An den Missionen in Mali und Somalia sind auch Deutsche beteiligt – 150 in Mali, 7 in Somalia. Eine EU-Truppe steht außerdem in der Zentralafrikanischen Republik. In Niger und Mali gibt es politische EU-Missionen zur Koordination der Sicherheitsorgane. Die in Mali leitet der deutsche Diplomat Albrecht Conze.

■ Deutscher Mali-Einsatz: Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch, den Mali-Einsatz bis Mai 2016 zu verlängern und die Obergrenze des Kontingents von 250 auf 350 zu erhöhen. Der Beschluss fällt inmitten zunehmender Spannungen zwischen Malis Regierung und Tuareg-Separatisten. UN-Soldaten erschossen am Dienstag drei Demonstranten in der Stadt Gao, am Mittwoch starben zehn regierungstreue Milizionäre bei einem Selbstmordanschlag auf Tuareg-Rebellen. (d.j.)

AUS MOGADISCHU BETTINA RÜHL

Es ist früher Morgen, am Strand von Mogadischu glitzert das Meer. Vom Rauschen des Wassers ist allerdings nichts zu hören, die Motoren der schweren Militärfahrzeuge übertönen alles. Ein Konvoi der Europäischen Ausbildungs- und Trainingsmission (EUTM) in Somalia ist abfahrbereit, vier gepanzerte Fahrzeuge gehören dazu. Hauptfeldwebel Karsten Friedrichs (Name geändert) ist für die Fahrt fertig angezogen. Obwohl das Trainingsgelände von der gesicherten Unterkunft der rund 120 europäischen Soldaten nur einen Kilometer entfernt ist, trägt Friedrichs eine kugelsichere Weste und Helm, hat außerdem Wasser, Munition und Sanitätsausrüstung dabei.

„Das sind so ungefähr zwanzig Kilo Zusatzgewicht“, meint Friedrichs. Er ist einer der mittlerweile sieben deutschen EUTM-Mitglieder. Trotz Schutzkleidung und Waffe dürfen die europäischen Soldaten nur in gepanzerten Fahrzeugen fahren. „Ich war in Afghanistan, da war es auch nicht viel sicherer“, sagt der Hauptfeldwebel. In Afghanistan war er 180 Tage, in Somalias Hauptstadt ist er nur für einen sechswöchigen Ausbildungsabschnitt. Aus seiner Sicht also alles kein Problem.

Der Konvoi hat sich in Bewegung gesetzt und fährt an einem Flüchtlingslager vorbei. Hier hausen Tausende in halb zerrissenen Zelten – ein kurzer Einblick in das „richtige Somalia“, wie einer der Soldaten das nennt, eine Welt aus Vertreibung und Not. Mehr als den Blick auf dieses Flüchtlingslager bekommen die Europäer vom „richtigen Somalia“ nicht zu sehen, sie wohnen und trainieren einige Kilometer von Mogadischu entfernt in massiv gesicherten Camps.

Als das heutige Training losgeht, stehen vor Friedrichs zwölf Männer stramm, ihrerseits Ausbilder der somalischen Armee. Etliche Somalier sind mangels Uniform halb in Zivil, einer trägt sogar ein buntes Wickeltuch um die Hüfte. Rund 150 Somalier nehmen an diesem Ausbildungsabschnitt teil, weitere Kurse werden folgen. In den ersten Tagen lernen die somalischen Soldaten „Disziplin und Selbstachtung“. Friedrichs meint damit: Ordnung in der Unterkunft, Körperhygiene und Exerzieren. „Bis jetzt sind alle hoch motiviert.“

Das bestätigt Abdullahi Nur Osman. Der Somalier trägt ein blaues Hemd und hat ernste Augen in einem hageren Gesicht. Er sei froh, an dem Kurs teilnehmen zu können, „weil wir hier Taktiken lernen, um uns gegen die Kämpfer der Shabaab zu verteidigen“. Mehr will er nicht sagen, aus Sicherheitsgründen.

Danach wird es etwas anspruchsvoller: Waffentraining, taktisches Training, Menschenrecht und humanitäres Völkerrecht. Außerdem Kurse in Verwaltung, Fernmeldewesen, Führungswesen und Aufbau von Kommandostrukturen. Zusätzlich berät die EUTM seit Anfang 2014 die somalischen Streitkräfte und die Regierung beim Aufbau der Armee.

„Ich war in Afghanistan, da war es auch nicht viel sicherer“

DEUTSCHER AUSBILDER IN MOGADISCHU

Denn die Streitkräfte, die sie vorfanden, „waren in unserem europäischen Sinne keine Streitkräfte“, sagt der deutsche Oberstleutnant Peter Johannsen (Name geändert). „Die Somalier haben zwar Waffen, aber nur wenig Munition.“ Außerdem hätten sie kaum Fahrzeuge, keine militärische Kommandostruktur und keine Hauptquartiere. „Das ist alles sehr improvisiert“, fasst Johannsen zusammen.

Problematisch ist noch mehr. „Ein paar unserer Soldaten waren früher Milizionäre“, sagt Oberst Nuraani Ali Dirir, Verbindungsoffizier des somalischen Generalstabs zur EUTM. „Einige benehmen sich noch genauso wie früher: Sie errichten illegale Straßensperren und verlangen Wegzoll von allen Minibussen und Lkws.“ Andere Soldaten sind sogar „aktive“ Milizionäre, denn manche Clans haben ihre Kämpfer sozusagen an die Armee ausgeliehen. Sie stehen jetzt zwar offiziell auf der Seite der Regierung, aber eben im Block als eigene Miliz. „Wenn etwas passiert, werden sie sich mit ihren Waffen ihrem Clan unterstellen.“

Auch Oberstleutnant Johannsen sieht das Risiko, dass die Soldaten nach der Ausbildung samt ihrer Waffe desertieren und vielleicht sogar zu den Islamisten überlaufen. Aber dank der Beratung durch die EUTM sei das Soldsystem reformiert worden, sagt der deutsche Berater. Früher bekamen theoretisch alle Soldaten im Monat 100 US-Dollar, unabhängig von ihrem Rang. Faktisch bekamen sie allzu häufig nichts. Neuerdings unterscheide sich der Sold nach dem Rang, und „die somalischen Streitkräfte sollen jetzt regelmäßig Sold erhalten“. Das werde „sicherlich“ dazu führen, „dass die Loyalitäten sich ändern“.