Im Kino sprechen alle deutsch

STIMME In Deutschland werden fast alle Filme synchronisiert. Doch wie lassen sich etwa Metaphern übersetzen?

VON JULE HOFFMANN

„Aufnahme – Ruhe!“ leuchtet rot über der Eingangstür von Atelier Nr. 11. Konstantin Krug, Projektmanager bei Berliner Synchron, legt einen Zeigefinger auf die Lippen und öffnet vorsichtig die Tür: Hier wird gerade die deutsche Version für die HBO-Serie „Boardwalk Empire“ eingesprochen. Im Studio sitzen drei Leute vor PC-Bildschirmen und Mischpulten: eine Regisseurin, ein Tontechniker und ein Cutter. Die Synchronsprecherin sieht man nur von hinten durch eine Glasscheibe, die das Studio vom Aufnahmeraum trennt. Sie schaut auf einen großen Bildschirm, auf dem ihr ein Countdown anzeigt, wann sie einsetzen muss. „Wir machen weiter mit Take 52“, gibt ihr die Regisseurin durchs Mikro zu verstehen. – Vier, drei, zwei, eins, los.

Synchronisation hat in Deutschland eine lange Tradition. Deutschlands ältestes Synchronunternehmen sitzt in Berlin-Lankwitz: Die Berliner Synchron synchronisierte schon Hitchcock-Klassiker wie „Das Fenster zum Hof“ und „Die Vögel“. In Deutschland werden so gut wie alle Filme synchronisiert, während in den meisten anderen Ländern Europas hauptsächlich Untertitel zum Einsatz kommen. In Skandinavien zum Beispiel synchronisiert man nur Kinderfilme. Auch in den Niederlanden, Belgien, Großbritannien, Griechenland und Portugal zieht man Untertitel grundsätzlich einer Synchronisation vor. Anders in Italien und Spanien – beides Staaten, die wie Deutschland in den 1930er Jahren faschistisch waren und ihre eigene Kultur höher einschätzten als andere. Aber auch in Frankreich, Ungarn und Tschechien werden inzwischen fast alle Produktionen synchronisiert.

Heute lautet das Argument für die Filmsynchronisation: mehr Zuschauer, mehr Geld. Die Deutschen haben sich an synchronisierte Filme gewöhnt. Und angesichts der Größe des deutschsprachigen Marktes lohnt es sich, Filme aufwendig zu synchronisieren. Zahlreiche Personen sind daran beteiligt, angefangen bei den Übersetzern.

„Wir haben oft eine harte Nuss zu knacken“, sagt Jan Pedersen, der Filme und Serien aus dem Englischen ins Schwedische übersetzt. Er und rund 200 seiner Kollegen sind hier auf einer internationalen Tagung in Berlin, um über die Herausforderungen beim Übersetzen audiovisueller Medien zu diskutieren. Pedersen hält einen Vortrag über „visuelle Metaphern“, sein Forschungsgebiet an der Stockholmer Universität. Gleich zu Beginn zeigt er eine Szene aus dem Film „Die Simpsons“ von 2007: Homer hängt schreiend an einem gigantischen Pendel, das zwischen einem Felsen und einem Haus mit der Aufschrift „A Hard Place“ hin- und herschwingt. „Welche Metapher sehen wir hier?“, fragt Pedersen. Das Publikum kennt die Antwort: „Stuck between a rock and a hard place“, was auf Deutsch so viel heißt, wie in einer Zwickmühle zu stecken.

Sprache im Bild

Damit ist auch eine Metapher für die Arbeit von Filmübersetzern gefunden: Das Bild liefert häufig zusätzliche Informationen, die sich nicht einfach übersetzen lassen, wie hier bei den Simpsons. Wie diese Szene zu einem nichtenglischsprachigen Publikum sprechen lassen? Einen Infokasten einbauen? Da geht der Witz total verloren. „Letztendlich“, erklärt Pedersen, „bin ich dazu übergegangen, solche Szenen für sich stehen zu lassen, mit dem Risiko, dass dem Zuschauer die Bedeutung entgeht.“ Er bringt noch ein Beispiel: In einer Szene der BBC-Sitcom „Yes, Premierminister“ aus den 80er Jahren packt ein Schauspieler einen imaginären Stier mit beiden Händen „bei den Hörnern“. – Eine Metapher, die es im Schwedischen nicht gibt. Die Geste des Schauspielers erfordert aber eine Erklärung. Ratlose Gesichter im Publikum.

Bei Berliner Synchron sind allein 15 Übersetzer nur für die englische Sprache zuständig. Festangestellt ist davon nur einer. „Bis ein Synchronsprecher im Studio steht, ist schon viel passiert“, sagt Krug. Als Projektmanager ist er das Bindeglied zwischen den Auftraggebern und den Kreativen bei Berliner Synchron. Die Aufträge kommen von deutschen Filmverleihen, die wiederum von den Produktionsfirmen beauftragt werden.

Wenn ein Verleih einen Auftrag schickt, liefert er zusätzlich zum Film ein Dialogskript in Originalsprache. Eine erste Rohübersetzung des Skripts wird angefertigt und dann von einem Synchronautor so umgeschrieben, dass die Wörter auf die Lippen der Schauspieler passen. Die Synchronautoren kürzen, verlängern, finden Synonyme. „Hut ab vor diesen Leuten!“, sagt Krug. „Gerade auf der Kinoleinwand ist jede Mundbewegung sehr gut zu sehen. Da muss man wirklich framegenau, teils an Millisekunden arbeiten.“ Und gleichzeitig nah am Original bleiben.

Der Synchronautor erstellt ein Dialogbuch, das für die Sprecher in einzelne Takes unterteilt wird. Geübte Sprecher bekommen lange Takes, ungeübte kurze. Viel Zeit zur Vorbereitung bleibt ihnen dabei nicht. Sie sind auf die Regisseure angewiesen, die ihnen oft erst im Studio genauere Infos zur Situation und den Gefühlen einer Figur geben. Allein mit ihrer Stimme müssen Synchronsprecher transportieren, was die Schauspieler im Film mit ihrem ganzen Körper ausdrücken. Um den richtigen Ton zu treffen, gebe es daher jede Menge Spielereien, erzählt Krug grinsend: „Im Studio 5 steht zum Beispiel auch ein Bett, weil die Stimme ganz anders klingt, wenn jemand liegt.“

Auch bei der Untertitelung eines Films geht es mit einer Rohübersetzung los. Die Anpassung des Textes an das Filmbild unterliegt aber ganz anderen Voraussetzungen: Untertitler müssen vor allem die Lesegeschwindigkeit des Zuschauers berücksichtigen und den Text knapp halten.

Verstehen und Genuss

„Man muss sehr kreativ sein“, sagt auch Übersetzerin Jing Han auf der Tagung in Berlin. Die chinesischstämmige Australierin arbeitet seit 16 Jahren als Übersetzerin. Seit 2013 untertitelt sie die chinesische Fernsehshow „If You Are The One“ für das australische Publikum. Rund 36 Millionen Zuschauer verfolgen in China die Dating Show, die laut Produzent Wang Peijie ein Fenster zur chinesischen Gesellschaft darstellt und zeigt, was die Chinesen bewegt.

Das den Australiern zu vermitteln, sei kein leichter Job, erzählt Jing Han: „In Australien ist es zum Beispiel diskriminierend, zu sagen, dass jemand fett ist. Aber in China ist das völlig normal! Man sagt es einfach! Fett! Du bist fett, fett, fett!“ Sie lacht. In den Untertiteln schreibe sie dann, derjenige sei „kräftig gebaut, etwas in der Richtung“. Mit dem Übersetzen gehe viel Verantwortung einher, sagt sie: „Dir geraten verschiedenste Aspekte einer Kultur in die Hände und es liegt an dir, wie diese bei einer anderen Kultur ankommen.“ Es gehe viel um Konfrontation und Toleranz. Hilfreich ist dabei das Internet und der wachsende globale Austausch. „Heute kann ich beim Untertiteln viel mehr voraussetzen als früher“, sagt Jing Han.

Man will doch aber wissen, dass die Chinesen „fett“ sagen. Sollte man da nicht lieber, wenn möglich, auf das Original zurückgreifen? – Nicht unbedingt, findet Nathalie Mälzer, Übersetzungswissenschaftlerin an der Universität Hildesheim. „Ich glaube, dass man sich da oft überschätzt. Eine Sprache, die nicht meine Muttersprache ist, schränkt mich erst mal in meinem Verstehen ein. Und dadurch auch in meinem Genuss.“

Dennoch sprechen gegen synchronisierte Filme eben die zum Teil grauenhaften künstlichen Dialoge, die nicht nur durch die Abwandlung des Originals zustande kommen. Es liegt auch daran, dass die Sprecher fast immer alleine im Studio sind und zwei Teile eines Dialogs an verschiedenen Tagen eingesprochen werden. Das habe logistische Gründe, erklärt Krug: „Würde man zwei Sprecher zugleich buchen, müsste einer von beiden ständig warten, während der andere spricht.“

Pseudoauthentisch

Nathalie Mälzer winkt ab: Auch im Original synchronisieren sich die Schauspieler wegen der Tonqualität nachträglich selbst. Sie findet es naiv, zu sagen, dass man unbedingt die Originalstimme hören wolle. „Das ist so ein Pseudowunsch nach Authentizität, die es im Film gar nicht gibt.“ Tatsächlich ist Film ein hochartifizielles Produkt. Alle Geräusche wie Schritte oder Reifenquietschen werden erst in der Postproduktion als sogenanntes „IT“ erstellt. Die „Internationale Tonspur“ – also alle Geräusche außer der Sprache – liefern die Filmverleihe samt Film und Dialogskript an die Synchronunternehmen. Sind alle Rollen auf Deutsch eingesprochen, wird das IT im letzten Schritt mit den Synchronstimmen und der Musik des Films zusammengemischt und an das Filmbild angepasst. Das Resultat heißt „deutsche Mischung“. „Ich bin großer Fan von Synchronisation“, sagt Nathalie Mälzer und fügt hinzu: „Natürlich muss es immer eine gute Übersetzung sein.“

Fest steht, dass Synchronisation größeren wirtschaftlichen Erfolg verspricht, wenn ein ausländischer Film in die deutschen Kinos kommt. Dem Zuschauer wird es bequem gemacht. Nach dem Motto: George Clooney spricht deutsch wie du und ich. Dass der gemeine Cineast aber George Clooneys Originalstimme der des Synchronsprechers bevorzugt, daran können auch die besten Übersetzer nichts ändern.