Waffen für den neuen Freund

USA In Washington drängen immer mehr Politiker darauf, die Ukraine im Kampf gegen die Separatisten mit Waffenlieferungen zu unterstützen. Noch ist nichts entschieden

■ Die Separatisten greifen die Stadt Debaltseve nahe Donezk seit Tagen an und haben sie fast eingekesselt. Die ukrainische Armee verzeichnet starke Verluste, allein am Dienstag kamen dort fünf Soldaten ums Leben. Nach einem Bericht der BBC ist die Stadt inzwischen weitgehend zerstört, die Zivilisten, die nicht geflohen sind, sitzen in der Falle. Debaltseve gilt als strategisch bedeutend, weil sich dort ein Eisenbahnknoten befindet. Der UN-Menschenrechtsbeauftragte Zeid Ra’ad Hussein beklagte: „Bushaltestellen, Marktplätze, Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Siedlungen sind in den Regionen Donezk und Luhansk zu Schlachtfeldern geworden.“ Die Separatisten warfen der Regierung in Kiew vor, auch die Großstadt Donezk zu beschießen. Dabei seien acht Zivilisten getötet worden.

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Präsident Barack Obama zögert noch. „In naher Zukunft“ werde es keine Waffenlieferungen an die Ukraine geben, sagte sein Sicherheitsberater Ben Rhodes am Montagabend. Mehr Waffen seien keine Antwort auf den Konflikt, sagte er.

Aber um Obama herum wird der Chor jener, die eine Lieferung „tödlicher Hilfe“ an Kiew verlangen, täglich lauter. Obamas Außenminister, sein scheidender Verteidigungsminister, seine Sicherheitsberaterin, seine Spitzenmilitärs und eine Reihe seine Diplomaten denken laut darüber nach, Panzerabwehrraketen, militärisches Kommunikationsgerät und Drohnen in die Ukraine zu schicken. Michele Flournoy, Obamas ehemalige Nummer drei im Pentagon und Hillary Clintons’ Frau fürs Militärische, hält das für „eine der besten Arten, um Russland davon abzuhalten, die Rebellen zu unterstützen, mehr Territorium zu erobern“.

Ein in dieser Woche in Washington veröffentlichter „unabhängiger“ Bericht drängt die US-Regierung dazu, Waffen im Wert von 3 Milliarden Dollar an Kiew zu liefern. Die acht AutorInnen des Berichts sind ehemalige Spitzenpolitiker verschiedener US-Regierungen, darunter mehrheitlich DemokratInnen. Unter ihnen ist der ehemalige Mitarbeiter der Clinton-Regierung und jetzige Chef der Brookings Institution, Strobe Talbott. Die AutorInnen des Berichts nehmen eine neue Spaltung der Nato bewusst in Kauf. Sie verweisen darauf, dass einige Länder – namentlich nennen sie Polen, die baltischen Staaten, Kanada und Großbritannien – bereit wären, zu folgen, falls Washington Waffen an die Regierung der Ukraine liefert.

In Interviews sprach Talbott von einer russischen „Invasion“, „Besatzung“ und „Annexion“ der Ostukraine. Für Talbott geht es an der russischen Grenze um die „Zukunft des 21. Jahrhunderts“. Flournoy sowie der ehemalige US-amerikanische Nato-Kommandant James Stavridis haben an dem Bericht mitgearbeitet.

Bei einem für Donnerstag geplanten Kiew-Besuch will Außenminister John Kerry über die geforderte massive Ausweitung der Militärhilfe sprechen. Auch bei einem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel am kommenden Montag in Washington steht die Ukraine ganz oben auf der Themenliste.

Noch im Januar hatte Präsident Obama erklärt, dass die Sanktionen die russische Wirtschaft schwächen. Sein Sicherheitsberater Ben Rhodes erklärte am Sonntag, es sei nötig, die ukrainische Regierung und die Rebellen an den Verhandlungstisch zu bringen. Am Montag jedoch erklärte der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, der wachsende Druck auf Putin habe nicht dafür gesorgt, dass er seine Zusagen einhalte, in der Ukraine zu deeskalieren. „Wir sind beunruhigt über die Eskalation der separatistischen Gewalt“, teilte Außenministeriums-Sprecherin Jen Psaki am selben Tag mit. Und fügte hinzu: „Alle Optionen sind auf dem Tisch.“

Verbal hat sich die US-Spitze schon einmal auf den russischen Präsidenten eingeschossen. Obama spricht vom „Putin-Regime“. Die potenzielle nächste Präsidentschaftskandidatin Clinton hat ihn mit Hitler verglichen.

Eine beinahe nebensächliche Mitteilung von Obama in einem Interview mit CNN hat die Moskauer Empfindlichkeiten zusätzlich verletzt. Im Zusammenhang mit dem Protest auf dem Kiewer Maidan vor einem Jahr sagte Obama: „Wir haben einen Machtübergang ausgehandelt.“ In Moskau wertete Außenminister Sergei Lawrow das als Eingeständnis, dass die USA an dem Putsch gegen den damaligen Präsidenten Janukowitsch beteiligt waren – und als Zeichen für den militärischen Kurs der USA.

Während Präsident Obama weiterhin fürchtet, dass eine zusätzliche Bewaffnung von Kiew zu einem Stellvertreterkrieg und einer Konfrontation zwischen USA und Russland führen könnte, meldet die Zeitung des US-Militärs, Stars and Stripes, dass der oberste US-Militär in Europa, General Philip Breedlove, eine Bewaffnung der ukrainischen Truppen wünscht. Anders als vor früheren Rüstungslieferungen sind dieses Mal die kritischen Stimmen in den USA selten.