Unfallflucht war Mordversuch

Das Landgericht verurteilt einen Mann, der einen Radfahrer überfuhr, wegen versuchten Mordes. Er hatte sein Opfer mit schwersten Verletzungen auf der Straße liegen lassen

„Er ist ein ganz normaler Mensch wie Sie und ich“, sagt die Richterin, nachdem sie den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt hat. Die Liste der Delikte, die Michael K. zur Last gelegt werden, ist lang: vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung und fahrlässige Körperverletzung zum einen, versuchter Mord durch unerlaubtes Entfernen vom Unfallort und vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr zum anderen. All dies beging er in einer Dezembernacht des vergangenen Jahres.

Unfallfahrten werden eher selten vor dem Landgericht verhandelt. Meist geht es dabei um fahrlässige Körperverletzung, die mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe auf Bewährung geahndet werden. In diesem Fall lautete die Anklage auf versuchten Mord. Der Fall ging an die Schwurgerichtskammer, dorthin, wo nur schwere Strafdelikte verhandelt werden.

An jenem 16. Dezember kam der stark betrunkene K. nachts um drei Uhr von einer Weihnachtsfeier, sein Opfer Stefan J. stieg nach einer Pokerrunde bei Freunden auf sein gut beleuchtetes Fahrrad. In Pankow prallte K.s BMW auf sein Opfer. J. flog über die Motorhaube auf die Fahrbahn, wo er mit schweren Kopfverletzungen und einem Unterschenkelbruch liegen blieb. Michael K. hörte einen Knall, die Windschutzscheibe war zertrümmert. Der 46-jährige Berufskraftfahrer stieg aus, gesehen haben will er nichts. Vielleicht weil seine Gedanken längst um den Arbeitsplatz kreisten, den er ohne Führerschein verlieren würde. Er entfernte das Fahrrad, das sich in seinem Kühlergrill verhakt hatte, und legte es auf den Grünstreifen. Mit heruntergekurbeltem Seitenfenster und herausgerecktem Kopf fuhr er nach Kaulsdorf, nach Hause.

Glück für J.: Eine Autofahrerin fand ihn wenig später. Als Folge des Schädel-Hirn-Traumas leidet der 29-Jährige noch heute an Schwindel, Kopfschmerz, Verlust des Geruchsinns und eingeschränkter Emotionsfähigkeit. Auf Sport muss der passionierte Basketballspieler ebenfalls verzichten, und seine berufliche Zukunft ist ungewiss.

Am Morgen nach dem Unfall stellte sich Michael K. auf Drängen seiner Freundin der Polizei. Sie beschreibt vor Gericht, wie sie ihren Lebensgefährten weinend und zitternd im Wohnzimmersessel fand. Über ihren Freund sagt die Arbeiterin: „Der kann mit Problemen nicht umgehen.“ Der Angeklagte sagt, in jener Nacht habe er gebetet, dass jemand den Fahrradfahrer rechtzeitig finden würde. „Dass Sie wieder gesund werden, das wünsche ich mir von ganzem Herzen“, lauten die letzten Worte, die K. glaubhaft zerknirscht an das Gericht und an sein Opfer, den Nebenkläger J., richtet. Er will für seine Tat büßen und Wiedergutmachung leisten. Als Kraftfahrer wird er auch nach der Haftentlassung nicht mehr arbeiten können: Sein Führerschein ist nach Haftentlassung für drei Jahre gesperrt. UTA FALCK