Wer die Heimat nicht liebt

MOBILISIERUNG Ukrainische Reservisten sollen an die Front. Wer dagegen protestiert, muss mit Festnahme rechnen. Einem Journalisten droht eine mehrjährige Haft, weil er zur Dienstverweigerung aufrief

KIEW taz | Am Samstag wurde der westukrainische Journalist Ruslan Kotsaba festgenommen. Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes sollen seine Wohnung durchsucht haben, berichtet die ukrainische Nachrichtenagentur korrespondent.net. Kutsaba hatte zuvor zur Kriegsdienstverweigerung aufgerufen, nun droht ihm eine mehrjährige Gefängnisstrafe wegen Staatsverrats.

Am 19. Januar hatte der Fernsehjournalist in einem auf YouTube veröffentlichten Video erklärt, dass er sich nicht an diesem „brudermörderischen Krieg“ beteiligen und lieber in das Gefängnis gehen werde. Gleichzeitig rief Kotsaba seine Landsleute auf, ebenfalls den Kriegsdienst zu verweigern.

Das ukrainische Parlament hatte Mitte Januar ein Gesetz zur Mobilisierung von Reservisten verabschiedet. In drei Phasen sollen in diesem Jahr Zehntausende Reservisten mobilisiert werden. Bezugnehmend auf ein Gespräch mit den Ermittlungsbehörden berichtet die Ehefrau Uliana Kotsaba von einer geplanten Anklage nach Artikel 111 des ukrainischen Strafgesetzbuchs. Dieser sieht für „Staatsverrat“ eine Haftstrafe von 12 bis 15 Jahren vor.

Kotsaba, der sich gerne in ukrainischer Nationaltracht in der Öffentlichkeit zeigt, hatte 2014 aktiv den Maidan unterstützt. Bei den Präsidentschaftswahlen im Mai, so Kotsaba vor seiner Verhaftung gegenüber der taz, habe er für Präsident Poroschenko gestimmt. Mehrfach hatte der Journalist aus den von den Aufständischen kontrollierten Gebieten berichtet.

Protest unerwünscht

Mit der Verhaftung von Kotsaba spitzen sich die Auseinandersetzungen um die Mobilisierung weiter zu. Am Sonntagmorgen warnte Anton Geraschtschenko, Berater des ukrainischen Innenministeriums, die Bevölkerung von Mariupol vor einer Teilnahme an einer für Sonntag geplanten Protestveranstaltung gegen die Mobilisierung. Wer auf die Protestveranstaltung gehe, so Geraschtschenko, müsse mit einer vorübergehenden Festnahme und Feststellung seiner Personalien rechnen.

Wer in der Ukraine lebe und Russland mehr liebe als die Ukraine, der sollte besser seine Koffer packen und sich auf den Weg in die russische Kolyma machen, kommentierte Geraschtschenko. Die Behörden der Frontstadt Mariupol dürften antiukrainische Stimmungen, die von Provokateuren angeheizt würden, nicht zulassen, so Geraschtschenko.

Anton Geraschtschenko ist einer der Autoren eines Gesetzentwurfes, der die Störung der Mobilisierung strafrechtlich unter Strafe stellen will. Dieses Gesetz, so Geraschtschenko, richte sich nicht gegen Mütter, die mit Tränen in den Augen ihre Söhne verabschieden, die die Heimat verteidigen. Es richte sich vielmehr gegen „bezahlte und nicht bezahlte Provokateure, leichtsinnige Dummköpfe, die auf Auftrag der russischen Geheimdienste Panik machen und Hysterie in der Gesellschaft säen, um den Willen zum Sieg der Ukrainer zu brechen“.

Menschenrechtler kritisieren unterdessen ein am 5. Februar verabschiedetes Gesetz, das Kommandeuren bei Befehlsverweigerung den Einsatz von Schusswaffen gegen die eigenen Soldaten erlaubt. Damit haben diese ein Instrument in der Hand, um potenzielle Deserteure von einer Fahnenflucht abzuhalten. Gegenüber der taz erklärte ein Angehöriger eines bei Debalzewo gefallenen Soldaten, das Gesetz legalisiere lediglich eine seit Wochen an der Front übliche Praxis. BERNHARD CLASEN