Panik am Engpass

TRAGÖDIE Vor dem Stadion des Kairoer Klubs Zamalek kommen mindestens 19 Menschen ums Leben. Fans und Polizei machen sich gegenseitig für das Unglück verantwortlich

AUS KAIRO KARIM EL GAWHARY

„Und der Nobelpreisträger für Straffreiheit ist … Ägypten“, schreibt der Menschenrechtsanwalt Gamal Eid. Ein gewaltiger Zorn hat das gesamte Nilland erfasst, nachdem am Abend zuvor mindestens 19 jugendliche Fans des Kairoer Vereins Zamalek vor einem Militärstadion in Kairo ihr Leben gelassen haben. Wer ist dafür verantwortlich? So lautet die allerorten gestellte Frage.

Die Videos, die sich am Abend zuvor rasant im Internet verbreitet haben, sind schockierend. Fußballfans sind zu sehen, die vor dem Stadion fassungslos über Dutzende von Leichen stolpern. Andere beginnen die Toten einzusammeln und die Verletzten zu versorgen. Überall liegen die normalerweise strahlend weißen Trikots der Zamalek-Fans blutverschmiert herum.

Eigentlich wollten sie lediglich ein Fußballspiel zwischen ihrem Verein Zamalek und ENPPI anschauen. Doch für viele wurde der Stadionbesuch zu einem traumatischen Erlebnis.

Was genau falsch gelaufen ist, darüber kursieren derzeit äußerst unterschiedliche Darstellungen. Gesichert sind folgende Erkenntnisse: Fans hatten versucht, ohne Tickets ins Stadion zu kommen. Sie wurden jedoch von Sicherheitskräften aufgehalten. Die Polizei reagierte mit dem Einsatz von Tränengas. Eine Massenpanik brach aus, bei der viele Anhänger erdrückt und erstickt wurden.

Videos zeigen zudem, wie maskierte Polizisten bei dem Versuch, die Menge vom Eingang des Stadiums wegzutreiben, mit Schrotgewehren schießen.

Das ägyptische Staatsfernsehen macht die Fans für den Vorfall verantwortlich. Diese wiederum erklärten, die Polizei sei verantwortlich für die Tragödie gewesen. Augenzeugen berichten, die Situation sei erst eskaliert, als Sicherheitskräfte versucht hatten, die Fans durch ein einziges enges Tor mit Stacheldraht zu schleusen. In dem Gedränge sei das Tor zusammengebrochen. Daraufhin hätte die Polizei begonnen, die Menschen abzudrängen. In diesem Moment erst sei es zur Massenpanik gekommen. Trotz der chaotischen Szenen vor dem Stadion wurde das Spiel drinnen angepfiffen. Nur ein einziger Spieler Zamaleks, Omar Gaber, weigerte sich anzutreten. Dafür wurde er vom Vereinspräsidenten Zamaleks, Ahmad Mansour, bis auf Weiteres suspendiert.

Mansour machte wie die Polizei die Fans für die Eskalation verantwortlich. Via Facebook erklärte er: „Niemand darf ein Spiel ohne eine Karte besuchen. Fußball ist nur für respektable Fans, und Gangs werden nicht zugelassen.“ Als Antwort kursierte ebenfalls auf Facebook das Foto der Leiche des jüngsten Opfers, eines siebenjährigen Jungen, dessen Hand sich fest um ein Schokoladen-Croissant klammert. Seit dem Aufstand gegen den Präsidenten Mubarak ist das Verhältnis zwischen den Ultra-Fußballfans der Kairoer Vereine Zamalek und Al Ahli mit der Polizei und der Regierung angespannt. Beide Fangruppen hatten an den Protestzügen teilgenommen und sich immer wieder heftige Straßenschlachten mit der Polizei geliefert.

2012 kam es im Stadion in Port Said zu Auseinandersetzungen zweier Fangruppen, bei denen 74 Fans des Kairoer Vereins Al Ahli umkamen. Die Fans warfen damals der Polizei vor, die Auseinandersetzungen geschürt zu haben, als Revanche für den Einsatz der Ultras auf dem Tahrirplatz gegen die Sicherheitskräfte.

Fußball war in den letzten Jahren in Ägypten stets hochgradig politisch. Viele Fans sind regimekritisch eingestellt. Nach der gestrigen Katastrophe hat der Fußballverband beschlossen, die erste Liga bis auf Weiteres auszusetzen.