Die jungen Strengen

NEWCOMER Auf der Vivaness wird erstmals die Trendkategorie „vegan“ dabei sein: Produkte ohne Tierversuche und tierische Inhaltsstoffe. Mit Bio hat das nur bedingt zu tun

Ob Trend oder Tradition: Die neuen strengen und die langjährigen Käufer veganer Biokosmetik sind Teil eines dynamischen Marktes mit Tendenzen zur Moralisierung

VON HEIDE REINHÄCKEL

Wenn in Nürnberg vom 11. bis zum 14. Februar die Vivaness, die Internationale Fachmesse für Naturkosmetik, zum neunten Mal ihre Pforten öffnet, wird in der Messehalle 7 A auch Trendforschung praktiziert. Denn dort präsentieren nicht nur über 200 Aussteller die Spannbreite des weltweiten Natur- und Biokosmetikmarktes, sondern am jährlichen Neuheitenstand wird erstmals die Trendkategorie „vegan“ dabei sein – Produkte, ohne Tierversuche und tierische Inhaltsstoffe wie beispielsweise Keratin, Wollfett oder Bienenwachs.

„Naturkosmetikhersteller setzen zunehmend auf vegan und folgen damit auch einer verstärkten Nachfrage der Konsumenten“, sagt Barbara Böck von der Nürnberger Messe. Der vegane Lifestyle erobert damit nach seinem Siegeszug in kulinarischen Breiten, von dem auch die Erlebniswelt Vegan auf dem Messezwilling Biofach zeugt, die Badezimmerregale. Die Branchenexpertin Elfriede Dambacher, Geschäftsführerin des Naturkosmetik Verlags, die den aktuellen Branchenmonitor Naturkosmetik herausgibt, sieht das Aufkommen eines veganen Lifestyles, der im Wortsinn über den Tellerrand hinausgeht: „Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Ernährungsstil und Beautyprodukten: Über 80 Prozent der Veganer möchten auch vegane Kosmetik nutzen. Bei den Käufern von Naturkosmetik sind es dagegen nur 30 Prozent.“ Dambacher hat sich ausführlicher mit dem Phänomen beschäftigt. Ihr Verlag gab im Herbst 2014 eine Trendstudie zu Natur- und Vegankosmetik bei einem Berliner Marktforschungsinstitut in Auftrag und kam zu interessanten Ergebnissen: Die Vegankosmetiker sind die jungen Strengen. Denn laut der Studie ist jeder dritte Verwender von veganer Kosmetik unter 30. Zudem legen 89 Prozent der befragten Veganer Wert auf ein entsprechendes Siegel.

Kommt es zum Thema Zertifizierung, ist allerdings Obacht geboten. Denn ein Siegel wie beispielsweise die Veganblume, die seit 70 Jahren von der britischen Vegangesellschaft vergeben wird, steht nicht automatisch für zertifizierte Naturkosmetik, auf die besonders die deutschen Verbraucher viel Wert legen.

Die Kategorie „vegan“ sagt grundsätzlich nichts über die Qualität der verwendeten pflanzlichen Bestandteile aus. Das Produkt kann auch synthetisch gewonnene Inhaltsstoffe enthalten, was bei zertifizierter Naturkosmetik ein Tabu ist. Im besten Fall geht beides zusammen: Naturkosmetik mit Siegel, die auch vegan ist.

Solche Produkte führt der Fachhandel schon lange, sodass die Trendrhetorik nur eingeschränkt gilt. Das Neue ist die erreichte junge Zielgruppe. Diese ist konsumstark, kommunikationsaffin und jagt ihre vegane Lippenstiftempfehlung routiniert durch die Medienkanäle.

Ob Trend oder Tradition: Die neue strenge Konsumentengruppe und die langjährigen Käufer von veganer Biokosmetik haben eines gemeinsam: Sie sind Teil eines dynamischen Marktes mit Moralisierungstendenzen: „Auch 2014 war ein starkes Jahr für die Naturkosmetik mit einem Umsatz von knapp einer Milliarde Euro. Der Anteil der Naturkosmetik am deutschen Kosmetikmarkt beträgt sieben Prozent. Die Konsumenten vertrauen nicht mehr den pauschalen Schönheitsversprechen, sondern suchen mehr Individualität, Natürlichkeit und Ethik. Die ethische Konsummotivation ist bei den Käufern von veganer Kosmetik besonders ausgeprägt“, so Dambacher.

Ob der Griff zu veganer Kosmetik nur ein medial bedingter Hype der ethisch upgegradeten Selfie-Generation ist oder sich verstetigen wird, ist noch offen. Fest steht jedenfalls: Der Markt differenziert sich weiter aus. Vegane Kosmetik kann man längst nicht nur im Fachhandel finden, sondern auch in Drogerieketten. Und mit dem wachsenden Angebot steigt auch der Orientierungsbedarf.

„Dieses Jahr werden auf der Vivaness am Neuheitenstand in allen Kategorien erstmals vom Fachpublikum Best New Products Awards verliehen. Damit wird auch in der diesjährigen Trendkategorie „vegan“ ein Produkt mit dem Best New Product Award ausgezeichnet werden. Der Vorteil für die teilnehmenden Aussteller ist, dass diese Auszeichnung ein starkes Signal an die Endverbraucher und Kunden darstellt“, so Böck von der Nürnberger Messe. Für die Branchenexpertin Dambacher sind solche Auslobungen wichtig, denn ihrer Erfahrung nach muss sich jede Innovation stets noch behaupten: „Der Trend zur veganen Kosmetik ist Ausdruck für einen Lebenstil, der momentan auch sehr viel Aufmerksamkeit in den Medien erhält.“

Wie sich dieser Trend im Kaufverhalten abbildet, wird sich spätestens an der Kasse zeigen, wo es bislang noch oft eine große Kluft zwischen Sympathie und Kaufverhalten gibt.