Die Zukunft mit Organic 3.0

TRENDFORSCHUNG Großes Thema auf der Biofach: Eine Studie sagt, wie man die Digital Natives für Bio begeistern kann

Digitale Helferlein weisen den Weg zum gesunden Lebensmittel aus der Region

VON ANSGAR WARNER

Fast hundert Jahre hat er gedauert, der Marsch in Richtung Mainstream. Doch Bio hat’s geschafft. Selbst Supermärkte und Discounter kommen ohne alternative Produkte nicht mehr aus – wenn auch mit Einschränkungen (siehe Seite II). Fragt sich nur: Wie kann der biologische Landbau seine Rolle als Innovator für den gesamten Food-Sektor erhalten? Gute Frage für die nächsten 100 Jahre. Die Macher der weltweit beachteten Leitmesse Biofach haben sie sich zum 25-jährigen Jubiläum gestellt. Die Antwort, formuliert zusammen mit dem Zukunftsinstitut Österreich, lautet: Organic 3.0.

Das klingt nach Science Fiction – und soll es wohl auch: Die „Bioszene“, so glauben die Macher der Studie, hat nämlich eine große Zukunft vor sich. Aber nur, wenn sie ein Verständnis für die „sich ständig ändernden Lebenswirklichkeiten der Konsumenten“ entwickelt. Doch wie kann man die Digital Natives für Bio begeistern? Die Trendforscher empfehlen den „Megatrend-Check“, um die zentralen „Treiber der Veränderung“ zu identifizieren – etwa Phänomene wie Individualisierung, Konnektivität oder Mobilität.

Zukünftig gilt etwa immer mehr: „Du bist, was du isst“ – denn Essen avanciert zum „Tool zur Selbstverwirklichung, Selbsterfahrung und Selbstdarstellung“, so die Trendexperten aus der Alpenrepublik.

Neben der Abgrenzung von anderen gehe es auch darum, „nicht dauergestresst und grunderschöpft durchs Leben zu gehen“. Einer der Megatrends ist schließlich auch Gesundheit. Hier könne Bio auf „Mahlzeitenebene“ mit ganzheitlichen Lösungen locken – Hauptsache, die Anwendung ist einfach: „Soft Health heißt das Zauberwort, ohne das Bio nicht mehr auskommen wird.“

Was aber auch in Europa kein 100-prozentiger Freibrief für Organic-Smoothie-Flatrates und Fast-Bio-Food in urbanen Zentren sein muss, wie in etwa Sattgrün in Düsseldorf oder Yamm! in Wien. Denn Kochen bleibt zugleich „do it yourself“, alleine schon, um das Einkaufserlebnis nicht zu verpassen.

Was im Supermarkt gesund ist, verraten schon jetzt spezielle Apps für Mobilgeräte – oft nutzen sie dafür die integrierte Kamera in Smartphones oder Tablets. So liefert das Einscannen von QR- oder Barcodes direkt am Regal Produktinformationen, die früher nur im Kleingedruckten der Verpackung zu finden waren (siehe Barcoo.com/de).

Dazu kommt „Augmented Reality“: Der von IBM entwickelte Personal Shopping Assistent checkt mittels Bilderkennung die Oberfläche der Waren – und hebt je nach Filtereinstellung auf dem Smartphone-Display das Passende hervor, etwa glutenfreie oder vegane Lebensmittel.

Gesiegelte Fertigprodukte sind ohnehin aus dem Biomarkt der Zukunft nicht wegzudenken – gilt es doch, „dem bioaffinen Kunden auch jenseits von ,Cooking from scratch‘-Aficionados“ entgegenzukommen.

Auch die Liebhaber des eigenen Herds rüsten beim Einkauf auf: Manche Apps wie „Melonmeter“ können sogar schon den Reifegrad von Obst optisch oder akustisch erkennen. Tipps zur richtigen Entscheidung bei der Auswahl saisonaler Produkte haben die mobilen Begleiter ebenfalls parat, so wartet die „Erntefrisch-App“ (seasonsap.com/de) nicht nur mit Saisondaten des heimischen Anbaus auf, sondern stellt auch Infos zu Importprodukten zur Verfügung.

Nicht zuletzt weisen die cleveren digitalen Helferlein den Weg zum gesunden Lebensmittel aus der Region – wie etwa die Food Tripping App, die hungrige Nutzer in den USA via GPS-Daten vorbei an Burgerbratereien und schnöden All-you-can-eat-Pizzabuden zur richtigen, ökologisch wertvollen Adresse lotst.

Diese „Auffindbarkeit“ für die Anbieter von Bio-Food hat natürlich eine Voraussetzung: Man muss überhaupt eine Adresse außerhalb des Internets haben. Die Trendforscher von Organic 3.0 geben allem Gerede von Lieferdrohnenlogistik zum Trotz der Realität 1.0 gerade auch im Biobereich noch eine Chance: „In einem mobilen Umfeld lohnt es sich für Produzenten, Verarbeiter und Anbieter mitunter, selbst nicht mobil zu sein und zu einem echten Hafen für Kunden zu werden.“ Zum Weiterdenken empfehlen die Trendforscher der Biobranche, sich die Frage zu stellen: „Wie kann ein magischer Bio-Flagship-Shop-Office-Lebensraum aussehen?“

Beim Übergang vom Loha zum pragmatischen LOR (Lifestyle of Resilience) der 2020er Jahre darf natürlich ein bisschen mehr Aktionismus nicht fehlen. Man engagiert sich in Food Coops und abonniert online Gemüse beim Erzeuger – Stichwort: Solidarische Landwirtschaft, sorgt sich aber auch vermehrt um das, was am Ende herauskommt. Ökomotivierte Stadtmenschen führen nicht nur via Smartphone-App ein Food Waste Diary, sondern kompostieren den pflanzlichen Rest vom Fest gleich zu Hause. Dafür sorgt etwa der hippe Urban Composter von Kim Enig Risager, den der Stardesigner einer griechischen Amphore nachgebildet hat. Noch mehr Effizienz verspricht ein Bio Digester von Philips, der mit hungrigen Mikroben Biogas für den Hausgebrauch erzeugt.