„Kiew wird die Aufständischen nie anerkennen“

AUSBLICK Eine Annäherung zwischen Kiew und Moskau ist in Minsk nicht in Sicht. Sollte die Regierung der Ukraine schlechtere Friedensbedingungen akzeptieren als im vergangenen September, dürfte es dafür wenig Akzeptanz im eigenen Lager geben

Alle vier Staaten – Frankreich, Deutschland, die Ukraine und Russland – sagen, ein Vertrag müsse auf dem bisherigen Abkommen von Minsk aus dem September fußen. Die wichtigsten Punkte darin sind:

■ Sofortiger Waffenstillstand

■ Illegal bewaffnete Gruppen, militärische Ausrüstung sowie von Kämpfer und Söldner sollen aus der Ukraine abgezogen werden

■ Überwachung des Waffenstillstands durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)

■ Mehr Autonomie für die von den prorussischen Separatisten im Osten des Landes besetzten Gebiete

■ Freilassung von Geiseln und Gefangenen

■ Schnell Wahlen im Separatistengebiet Donezk und Luhansk

(reuters)

AUS KIEW BERNHARD CLASEN

Die ukrainische Bevölkerung wartet ungeduldig auf die Verhandlungen mit Russland in der weißrussischen Hauptstadt Minsk. In der ukrainischen Hauptstadt Kiew befürchtet man aber vielfach, dass Russland nicht über die Umsetzungen der Ergebnisse der letzten Ukraine-Friedenskonferenz von Minsk vom September verhandeln, sondern praktisch ein „Minsk 2“ durchsetzen möchte, das für die ukrainische Regierung schlechter ausfallen würde.

Ziel der Konferenz von Minsk aus Moskauer Sicht, mutmaßt man in Regierungskreisen in Kiew, sei es, die militärischen Erfolge der ostukrainischen Aufständischen vertraglich festzuschreiben und die Waffenstillstandslinie neu im Sinne Moskaus zu definieren. Gleichzeitig wolle Moskau in Minsk Kiew zwingen, mit den Führern der Volksrepubliken von Donezk und Lugansk direkt Verhandlungen zu führen und diese dadurch faktisch anzuerkennen.

„Die Russische Föderation will den Status der Volksrepubliken von Lugansk und Donezk legalisieren,“ sagt Michail Paschkow vom Rasum-Zentrum, einem Thinktank, der Politiker in Kiew und Brüssel berät. „Doch Poroschenko hat auf der Konferenz in München unmissverständlich erklärt, dass Kiew die Aufständischen nie anerkennen wird.“

Andere Beobachter interpretieren den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in den USA und Kanada als ein Bemühen von Angela Merkel, dem Eindruck entgegenzutreten, der „Westen“ sei gespalten. Dies könnte aber die Verhandlungen erschweren, meint der Politikwissenschaftler Taras Beresowetz. „Ich denke, Putin hat Merkel zu verstehen gegeben, dass er lieber nur mit der EU und der Ukraine verhandeln möchte.“

„Personen wie Merkel, Putin, Hollande und Poroschenko sind Profis“

ISKANDER CHISAMOW, POLITOLOGE

Der ukrainische Politologe Iskander Chisamow sieht demgegenüber durchaus Chancen, dass man in Minsk einem Ergebnis komme. Er sei zwar Pessimist, sagt er, aber „Personen wie Merkel, Putin, Hollande und Poroschenko sind Profis. Die setzen sich nicht an einen Tisch, wenn sie vorab nicht an einen Erfolg ihres Unterfangens glauben.“ Deswegen, glaubt er, könne es zwar Versuche geben, das Treffen in Minsk noch im letzten Augenblick zu sprengen. „Doch sobald die Verhandlungspartner an einem Tisch sitzen, gibt es reale Erfolgsaussichten“.

Bei der Regierung in Kiew vermisst der Politologe eine Perspektive. „Man muss das Volk auf den Frieden vorbereiten.“ Ein Vorbild könnte der Franzose General De Gaulle sein, der ab 1958 den Algerienkrieg beendet und gleichzeitig dem französischen Volk eine Perspektive eröffnet habe. Auch die ukrainische Führung müsse ihrem Volk deutlich machen, welche Vorteile sie von einem Frieden haben könne. Die internationalen Vermittler dürften daher nicht nur Druck auf die Ukraine ausüben, sondern Präsident Poroschenko etwas anbieten, was er in seiner Heimat als Ergebnis vorweisen könne.

Unterdessen veröffentlichte das ostukrainische Internetportal „ostro“, das die Regierung in Kiew unterstützt, erste Ergebnisse einer Umfrage. Danach sprechen sich 41 Prozent der Bevölkerung gegen jegliche Zugeständnisse an die Aufständischen in der Ostukraine aus. 22 Prozent hingegen befürworten eine Autonomie des Donbass, 19 Prozent wollen gar eine völlige Loslösung, 12 Prozent sind für eine Föderalisierung und 6 Prozent wollen ein „Einfrieren“ des Konflikts nach dem Vorbild von Transnistrien in Moldawien.