Die Bewegung bewegt sich wieder

Von Heiligendamm nach Cottbus: Beim heute beginnenden Sozialforum will die Szene an die G-8-Proteste anknüpfen

BERLIN taz ■ Vier Monate nach den Demos gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm beginnt heute das nächste Großereignis der Protestszene: Das zweite bundesdeutsche Sozialforum tagt in Cottbus. Bis zum Sonntag werden Umweltinitiativen, Friedensgruppen, Globalisierungskritiker und Gewerkschaften in 170 Seminaren und Workshops über eine bessere Welt diskutieren. Prominente Redner wie Ver.di-Chef Frank Bsirske und Stars der Bewegung wie der brasilianische Mitbegründer des Weltsozialforums, Chico Whitaker, haben sich angekündigt.

Im Zentrum steht die Frage: Gelingt es, den Schwung aus den G-8-Protesten aufzunehmen und zu kanalisieren? „Die Nachbereitung ist ein wichtiger Teil des Forums“, sagt Ralf Franke von Ver.di, der das Treffen mitorganisiert hat. Eine Strategiekonferenz zur Vernetzung wurde extra so terminiert, dass kaum Parallelveranstaltungen stattfinden, Workshops beschäftigen sich mit neuen Protestformen.

Anders als während der G-8-Wochen werden die Aktivisten vor allem theoretische Arbeit leisten. Das Spektrum reicht von utopischen Ansätzen wie der Frage, wie sich die Revolution organisieren lasse, bis hin zu aktuellen Themen wie Niedriglöhnen oder der Privatisierung öffentlicher Betriebe. „Wir erhoffen uns frischen Wind für die soziale Bewegung“, sagt Hugo Braun von Attac. Auch müsse sich stärkerer Widerstand gegen die „unsäglichen“ Vorstöße von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) formieren, der die Bürgerrechte einschränken wolle.

So kämpferisch das klingt, eines wissen die Organisatoren genau: Gegen G 8 kann kein Sozialforum anstinken. „Es geht nicht um eine Fortschreibung dieser Proteste. Damit hängt man den Anspruch zu hoch“, sagt Attac-Sprecherin Frauke Distelrath. Auch Mitorganisator Braun stapelt lieber tief und will keine Teilnehmerzahl voraussagen. Logistisch sei das Sozialforum für 2.000 Besucher ausgelegt. „Aber Cottbus liegt nicht gerade in der Mitte der Republik.“ Gegenüber dem ersten Sozialforum im Sommer 2005 in Erfurt gebe es in Cottbus aber ein deutlich höheres Interesse der Bevölkerung, sagte Braun.

Die Ausstrahlung des Riesenereignisses G 8 hat die Vorbereitung aber auch erschwert. Bis zum Ende des Gipfels im Juni band er alle Energien der Initiativen, sagt Gewerkschaftssekretär Franke. „Dann haben die Aktivisten eine – wohlverdiente – Erholungspause eingelegt.“ Bis Ende August, dem offiziellen Meldeschluss für Cottbus, hatten nur ein paar Initiativen ihre Mitarbeit angeboten; das Programm entstand also in einem rasanten Endspurt. Neu ist, dass die Aktivisten offensiv den Dialog mit Politikern suchen – der SPD-Linke Otmar Schreiner und die Abgeordneten Krista Sager (Grüne) und Katja Kipping (Linke) diskutieren auf einem Podium. Oberutopist und Linke-Chef Oskar Lafontaine, mit dem das Forum erst geworben hatte, sagte ab.

Messbar wird der G-8-Schub für die Bewegung an den Mitgliederzahlen des wichtigsten Players im Bewegungsbusiness. 1.800 Menschen traten im ersten Halbjahr neu bei Attac ein. Zum Vergleich: Mitte 2006 registrierten die Globalisierungskritiker gerade mal 10 Neumitglieder pro Monat. Der Bewegungsforscher Dieter Rucht glaubt allerdings nicht an ein lang anhaltendes Engagement: „In der Regel treten nach solchen Ereignissen tatendurstige Leute neu ein. Wenn sie in Basisgruppen mit der trockenen Alltagsarbeit konfrontiert werden, springen viele wieder ab.“ ULRICH SCHULTE