Was darf die Kunst, was darf sie nicht?

SPIELRÄUME DER ERINNERUNG In Berlin wurde gerade ein Kurzfilm aus dem Verkehr gezogen, in München gab es zum Thema NS-Erfahrung eine Tagung

■ Die Entscheidung des Berliner Museums Martin-Gropius-Bau, den Kurzfilm „Berek“ (Hasch mich) des polnischen Künstlers Artur Zmijewski aus der deutsch-polnischen Ausstellung „Tür an Tür“ zu entfernen, ist weiterhin umstritten. Angeblich war auch die Kuratorin der Ausstellung, Anda Rottenberg, davon nicht vorab informiert gewesen.

■ Zmijewskis Video „Berek“ zeigt nackte Männer und Frauen, die unter anderem in einer Gaskammer eines ehemaligen Konzentrationslagers Fangen spielen. Ist dies ein Fall von Antisemitismus oder einer von Unbedarftheit und platter künstlerischer Provokationsstrategie? Zmijewski dürfte einiges zu erklären haben. Er soll immerhin 2012 die 7.Berlin Biennale leiten. Das Video ist bereits 1999 entstanden und auch auf youtube im Internet zu besichtigen. Offensichtlich hatten sich erst Besucher über Zmijewskis Nackte in der Gaskammer beschwert. Die Schau „Tür an Tür“ ist im Gropius-Bau noch bis 9. Januar 2012 zu sehen. (fan)

Holocaust-Repräsentationen in der Kunst haben Tradition. Im Theater, im Film, in der fiktionalen Literatur und in der bildenden Kunst wird Vergangenheit nicht einfach nur reflektiert. Ungefähr seit den achtziger Jahren lässt sich eine Wachablösung auf dem heiß umkämpften Sektor der Deutungshoheit über das Gestern beobachten.

Fotografien, Bilder, Filme, fiktionale Literatur und nicht zuletzt das Internet machen aus Ereignissen Geschichte und erzeugen und dominieren Erinnerungsprozesse. Die alte Dame Geschichtswissenschaft mit ihren Textdebatten sei demgegenüber auf dem Rückzug – so die Ausgangsthese der gemeinsamen Tagung des Instituts für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München und des Instituts für Zeitgeschichte Innsbruck. Die Konferenz hatte es sich am vergangenen Wochenende in München zur Aufgabe gemacht, diese neue Phase der Erinnerungskultur zu hinterfragen. „Holocaust-Fiktion. Kunst jenseits der Authentizität“ lautete der Titel der interdisziplinären Veranstaltung, bei der vor allem Literaturwissenschaftler und Historiker sowie weitere Kulturwissenschaftler die „unentwirrbare Mischung realer Realität und fiktionaler Realität“ (Niklas Luhmann) wenigstens ein Stück weit zu analysieren versuchten.

Verlassen zeitgenössische Künstler in ihren Werken, die sich mit dem Holocaust auseinandersetzen, immer mehr den Boden der gesicherten Erkenntnis – und wenn ja, warum? Worin liegt die spezifische Kraft und Funktion fiktionaler Erinnerung? Als ein Exempel der neuen Phase einer künstlerischen Erinnerungskultur führte die Organisatorin der Tagung, Iris Roebling-Grau, den Roman des französischen Autors Jonathan Littel „Die Wohlgesinnten“ an.

Roebling-Grau ging der Frage des für diese Phase allgemein wichtigen Verhältnisses von Fiktion und Wirklichkeit im Kunstwerk nach. „Wozu überhaupt Fiktionen über den Holocaust?“ Littell, der 900 Seiten Täterperspektive pseudorealistisch inszeniert, jongliere mit den Erwartungen des Lesers, den er einerseits in den Erwartungssog eines „wie es gewesen ist“ hineinzieht, um ihn anderseits durch die Absurdität der Handlungsstruktur zu verunsichern.

Geschärfter Blick

Aus dieser Verunsicherung resultiere letztlich ein geschärfter Blick auf das historisch Reale.

Daran anknüpfend sprach Axel Dunker, Literaturprofessor aus Bremen, in seinem Beitrag zu Schreibweisen über den Holocaust in der deutschen Literatur der Gegenwart von einem „Zwang zur Fiktion“, weil der Fluss des Erzählens der Zeitzeugen allmählich versiege. Doch – und darauf machte Dunker aufmerksam – ist nicht gerade die künstlerische Fiktion der Königsweg, um Erinnerungsroutinen des Holocaust zu durchbrechen?

Auch wenn die Literatur im Mittelpunkt der meisten Vorträge stand, ging die Blickrichtung der Tagung darüber hinaus. Bill Niven, Professor für deutsche Zeitgeschichte in Nottingham, thematisierte die neue Denkmalsgeneration der „Countermonuments“, die sich durch ihre direkte Bezugnahme auf die Ästhetik und Aussage bereits vorhandener Denkmäler auszeichne.

Die Problematisierung von Erinnerungsprozessen löst dabei die Darstellung von Geschichte ab. So zu sehen 1997 in Horst Hoheisels temporärer Lichtinstallation „Die Tore der Deutschen“ mit dem Schriftzug „ARBEIT MACHT FREI“, der auf das Brandenburger Tor projiziert wurde.

Diese von Niven angesprochene Funktion der Meta-Diskursivät von Kunstwerken stand auch im Mittelpunkt von Cristina Nords Beitrag zu Quentin Tarantinos Film „Inglourious Basterds“. Die Filmkritikerin der taz betonte in ihrer Analyse des kontrafaktischen Werks, dass die notwendige historisch-kritische Aufarbeitung des Holocaust eben nur ein möglicher Zugang zur Geschichte ist. Tarantino gelingt es in seinem bewusst pietätlosen und grenzverletzenden Film, in dem Hitler 1944 von einem vornehmlich jüdischen Spezialkommando getötet wird, unser vielleicht letztlich unstillbares Begehren nach Rache kurzfristig, affektiv und stellvertretend zu stillen.

„Kosher Porn“ hat der jüdische Filmemacher Eli Roth diese mithin auch sexuell aufgeladene Form der Vergangenheitsbewältigung genannt.

Es gilt also, Geschichtsschreibung und Kunst auch in Bezug auf den Holocaust nicht gegeneinander auszuspielen, sondern als sich wechselseitig stimulierende Kräfte im Umgang mit der Vergangenheit zu begreifen. In der Kunst geht es dabei darum, Spielräume zu eröffnen, Leerstellen zu bieten, in denen sich der Einzelne neu erfahren kann. Die Möglichkeit, einer Fantasie- und Ohnmachtsarbeit Platz zu geben, ist auch für Holocaust-Fiktionen kennzeichnend. Mit dem Holocaust künstlerisch zu spielen heißt weder ihn zu leugnen noch ihn zu banalisieren. Oft im Gegenteil. ERIK K. FRANZEN