„Er war kein Kolonialist“

Die Universitätsbibliothek präsentiert, zu deren 50. Jubiläum, die Bibliothek des Altonaers Carlos R. Linga. Der verdiente um 1900 massiv am mexikanischen Zucker. Und er sammelte Bücher über die Eroberung Lateinamerikas

WIEBKE VON DEYLEN, 43, Historikerin, ist seit 2002 Leiterin der Linga-Bibliothek.

taz: Frau von Deylen, als Schwerpunkte der Linga’schen Sammlung gelten Bücher zur Entdeckung Lateinamerikas und der blutigen französischen Intervention des 19. Jahrhunderts. Eine klassische Kolonialistensammlung.

Wiebke von Deylen: Ich würde Linga nicht als Kolonialisten bezeichnen. Linga war ein junger Mann aus Altona, der mit 17 als Vertreter einer Hamburger Firma nach Mexiko ging, sich mit 30 selbständig machte und mit mexikanischem Zucker handelte. Er hat dort vor allem die Vertriebsstrukturen reorganisiert.

Das heißt, er hat sich an mexikanischem Zucker bereichert.

Nein, aber in politischen Umbruchzeiten – Mexiko wurde ja ab 1910 von einer Revolution erschüttert – hat er versucht, wirtschaftliche Vorgänge dort am Leben zu erhalten.

Aber nicht aus Edelmut, sondern, um Geld zu verdienen.

Das schließt einander nicht aus.

Sein Blick auf die Indios war also der eines Kolonialisten.

Nein. Er hat Bücher über die Entdeckung Südamerikas und den Aufbau des spanischen und portugiesischen Kolonialreichs sowie über die vorspanischen dortigen Kulturen gesammelt.

Sah er die Kolonialisierungspraxis explizit kritisch?

Er wollte dokumentieren, wie die Entdeckung Südamerikas in Europa rezipiert wurde. Da gab es ja zwei Positionen: die spanisch-katholische, die davon ausging, dass Spanien Südamerika missionierte und den Indios das Seelenheil brachte. Und die protestantische, die monierte, wie grausam die Eroberer mit der indianischen Bevölkerung umgingen. Linga sammelte Belege für beide Positionen.

Paritätisch?

Ja.

Wie hat Linga gelebt: integriert in ein Indio-Dorf?

Nein. Er lebte in großen Städten und pflegte Kontakte zur kommerziellen und intellektuellen Führungsschicht.

Die mexikanische Kultur war also schon exotisch für ihn?

Nein. Er fühlte sich dort heimisch. Er hat ja fast sein ganzes Leben dort verbracht und hatte viele mexikanische Freunde.

Er fühlte sich als Mexikaner?

Schwer zu sagen. Er hat jedenfalls immer die deutsche Staatsbürgerschaft behalten. Sie muss ihm also etwas bedeutet haben.

Die Bücher seiner Sammlung: Woher hatte er die?

Er hatte weltweit Kontakte zu Buchhändlern und Antiquaren, die um sein Sammlungsgebiet wussten.

Extrem wertvolle Stücke?

Wir haben zwei Erstausgaben des zweiten und dritten Briefs, den Hernando Cortés unmittelbar nach der Entdeckung Mexikos an Kaiser Karl V. schrieb. Darin beschreibt er begeistert dieses wunderbare Land samt der aztekischen Hochkultur, die er für die spanische Krone erobern werde. Weitere frühe Werke sind Chroniken des 16. Jahrhunderts.

Verfasst von Europäern, die Mexiko nie gesehen hatten?

Es gibt sowohl Augenzeugenberichte als auch Texte spanischer Chronisten, die niederlegten, was ihnen die Entdecker erzählt hatten.

Wie relevant ist diese Sammlung für die heutige Forschung?

Es sind wichtige Originalquellen, die unter anderem offenbaren, in welchen Schritten sich die geografischen Kenntnisse über den amerikanischen Kontinent erweiterten.INTERVIEW: PETRA SCHELLEN

Bis 29. 11., Staats- und Universitätsbibliothek, Von-Melle-Park 3