Plappern mit Stil

Raymond Queneaus „Zazie in der Metro“ als schönes Hörbuch, Sprecher: Ulrich Matthes

Eines der beliebtesten und billigsten Hörbuch-Rezepte: Man nehme einen namhaften Schauspieler, veranstalte eine Lesung, schneide sie mit und verkaufe die unbearbeitete Aufnahme für 20 Euro. Das Husten und Scharren im Hintergrund entschuldigt man auf dem Cover mit der Aufschrift „Live-Atmosphäre“. Gerade weil solche Schnellschüsse oft enttäuschen, freut man sich umso mehr über „Zazie in der Metro“, denn dieser Mitschnitt einer musikalischen Lesung im Deutschen Theater bringt Raymond Queneaus Parisroman von 1959 in eine konge- niale Hörfassung, führt Stimme und Klang in einer Weise zusammen, die perfekt zum Sprachduktus dieses Autors passt.

Queneau, 1903 geboren, war Kritiker, Lektor, Verleger, Cineast und auch sonst alles Mögliche. Er bewegte sich in den surrealistischen Kreisen und experimentierte gerne mit schnellen Brüchen zwischen Slang und Literatursprache. „Zazie in der Metro“, 1960 verfilmt von Louis Malle, ist eine liebevolle Paris-Verulkung; zugleich schreibt sich Queneau an die Überforderung der Wahrnehmung heran, an die Schnelligkeit der Stadt, die sich schon in der verwischten Sprache niederschlägt.

„Fonwostinktsnso“ – mit dieser Frage setzt der Roman den Startschuss, und Ulrich Matthes rauscht in einem Tempo los, das keine Atempausen gewährt. Zwischen den Textsequenzen treiben Christian Mevs und Martin Fekl den Rhythmus mit Dobro und Keyboard weiter, lassen den Puls punktgenau dort abreißen, wo Zazie den nächsten Spruch abrotzt. „Erziehung am Arsch“, erklärt sie Onkel Gabriel. Der soll auf sie aufpassen, damit Mama ein ungestörtes Wochenende mit einem Liebhaber verbringen kann. Gabriel arbeitet nachts als Schönheitstänzerin in einer Schwulenbar und tut sich schwer mit dem frühreifen Gör, die mit ihrer Vulgärsprache seine Freunde vergrault, gnadenlos Männer anmacht und sie hinterher als „Sittenstrolche“ entlarvt.

Eigentlich wollte Zazie unbedingt mit der Metro fahren, aber die streikt gerade, und so schlägt sie sich zu Fuß durch die Stadt, trifft auf den Bistrobesitzer Turandot, auf Marceline, Gabriels sanfte Frau, die sich hinterher als Marcel entpuppt, auf die Witwe Mouaque und ihre Begeisterung für Polizeiuniformen, wobei sich auch die als gefälscht herausstellen.

Ulrich Matthes springt begeistert zwischen den Stimmen hin und her, schwächelt mit der aphrodisierten Witwe, grunzt mit dem autoritären Pseudo-Polypen und suhlt sich in der schweren Zunge Gabriels, der nach dem fünften Grenadiner zum Philosophieren neigt. Ein wenig kurzatmig klingt das manchmal, doch das passt ganz gut zu diesem Text, der eine konstante, fröhliche Überreizung der Wahrnehmung sein will. „Du quasselst, das ist alles, was du kannst“, kommentiert Laverdure, der Papagei, und damit spielt der Roman ironisch auf sich selbst an, auf das Plappern auf verschiedenen Stilebenen.

„Warum sollte man das Leben nicht ertragen“, lallt Gabriel, „da doch ein Nichts schon genügt, es einem zu nehmen. Ein Nichts bringt es, ein Nichts beschwingt es, ein Nichts vollbringt es, ein Nichts bezwingt es.“ Hochtrabende Monologe im Vollsuff, gekontert mit Gossensprache – die Musiker nehmen diese Stilbrüche auf, sampeln Alltagsgeräusche über Revue-Fetzen, verschwurbeln barocke Gitarrenläufe zu rumpelndem Metrogeratter. Zum Schluss fliegen die Aschenbecher in der Schwulenbar an der Place Pigalle, und hier hätte Vera Teichmanns Strichfassung weniger radikal sein dürfen, damit man die Handlung auch beim ersten Hören mitkriegt.

Aber was soll’s. Dieser Roman wurde geschrieben, um den Leser zu überrollen, wie die Metropole ihre Bewohner, wie Zazie ihren Onkel, wie Ulrich Matthes die Hörer. Der überdrehte Klang der Stadtmaschine schwingt mit in diesem Hörbuch, das erst ganz am Schluss zur Ruhe kommen lässt. Als die Metro wieder fährt, kriegt Zazie nichts mehr davon mit. Halb schlafend wird sie ihrer Mutter übergeben und antwortet auf die Frage, was sie gemacht hat, nur noch: „Ich bin älter geworden.“ Und vergisst für einmal, „am Arsch“ dranzuhängen. IRENE GRÜTER

Raymond Queneau: „Zazie in der Metro“. speak low, 2 CDs, 112 Minuten, 18,90 Euro.