„Heute Abend feiern wir erst einmal“

Am heutigen Samstag startet der Verkauf der deutschsprachigen Ausgabe des letzten Harry Potter-Bandes mit einer Rekordauflage von drei Millionen Exemplaren. Vor dem Verkaufsstart herrscht skandinavische Gelassenheit statt Hektik bei Klaus Humann, Verlagsleiter des Carlsen Verlages in Hamburg

KLAUS HUMANN, 57, stammt aus einer bibliophilen Hamburger Familie und ist seit 1997 Leiter des CarlsenVerlags.

INTERVIEW: JAN WEHBERG

taz: Herr Humann, heute erscheint der letzte Harry Potter-Band. Die Serie war für ihren Verlag der größte Erfolg. Wie geht es nach Harry Potter mit Carlsen weiter?

Klaus Humann: Wir haben den ganzen Laden verkauft und machen zum Ende des Jahres eine Gärtnerei auf... Nein, natürlich nicht, aber das habe ich mal auf diese recht häufig gestellte Frage geantwortet. Heute Abend feiern wir hier im Haus erst einmal eine große Party. Wir sind ein bisschen erleichtert, dass jetzt der größte Stress überstanden ist. Außerdem ist Harry Potter nicht aus der Welt. Trotzdem freue ich mich auch darauf, mich jetzt intensiver um die übrigen 449 Titel in unserem Verlag kümmern zu können. Es geht also weiter. Bei den Buchhandlungen ist das ja auch der Fall.

Sie scheinen einen guten Riecher gehabt zu haben – damals vor mehr als zehn Jahren. Wie kamen Carlsen und Harry Potter zusammen?

Zunächst waren da fünf oder sechs Verlage, die sich um die Rechte bemüht haben. Schließlich waren es nur noch zwei. Der andere Verlag bot mehr Geld als wir, aber mir sind drei Sachen zu Gute gekommen. Ich war mit dem Agenten persönlich bekannt, zweitens hat Frau Rowling unser Programm gefallen, dass wir etwa Philip Pullmann mit „Der Goldene Kompass“ im Verlag haben. Drittens haben wir gesagt, wir können nicht mehr zahlen, aber wir übernehmen die ersten drei Bände. Das war im Nachhinein natürlich total clever. In den USA etwa wurden für den ersten Band 100.000 Dollar bezahlt, für den zweiten schon eine Million. Zu dem Zeitpunkt war es allerdings ein bisschen Harakiri, weil ich mich auch hätte irren können. One-Hit-Wonder gibt es in der Rockmusik, aber auch in der Literatur, etwa Salinger mit seinem „Fänger im Roggen“. Aber ich war mir schon ziemlich sicher bei Rowling. Es konnte nicht sein, dass eine Frau, die so gut schreibt, nur ein gutes Buch vorlegt.

Und da sollten Sie Recht behalten.

Als ich das erste Manuskript im Frühjahr 1997 in die Hand bekam, habe ich mir sofort gedacht, wenn mir das so viel Freude bereitet, dann müssen wir auch in der Lage sein, das zu transportieren. Richtig los ging es aber erst beim dritten Band Ende 1999. Es wird häufig gesagt, bei dem Marketing musste Harry Potter ja zum Erfolg werden, dabei wird aber vergessen, dass es am Anfang gar kein Marketing gab. Die Idee, als erster Verlag in Deutschland eine eigene Homepage für ein Buch einzurichten, war dann aber sehr erfolgreich. Es war wirklich toll zu sehen, wie dieses Medium das Buch beflügelt hat. Wir reden alle lieber über Erfolge, aber es gibt auch immer mindestens ebenso viele Misserfolge. Wir haben für Bücher auch schon deutlich zu viel Geld ausgegeben.

Ihre Arbeit scheint Ihnen trotzdem sehr viel Spaß zu machen.

Ja, es ist ein toller Job. Ich kann auch sagen, wir tun etwas Gutes, da wir Kinder zum Lesen bringen. Das ist grundsätzlich immer schön. Aber es gibt auch Kollegen, die deutlich missionarischer sind. Da ist nur ein gutes Buch ein Buch. Ich bin der Meinung, solange sie überhaupt Bücher lesen, können wir schon froh sein. Ich habe in meiner Jugend phasenweise nur Jerry Cotton gelesen, aber auch das heißt, sich erstmal mühselig mit einem Text zu beschäftigen. Insofern sind wir auch missionarisch als wir gerne Bücher unter die Leute bringen.

Mit Harry Potter sind das ausgesprochen viele Leute…

Ich fand es persönlich sehr beglückend, dass wir so viel Post von Eltern bekommen haben. Sie schreiben, es sei unglaublich, dass ihr Kind plötzlich lesen würde. Früher wäre das niemals passiert und auf einmal liest es ein 350-seitiges Buch.

Harry Potter ist zu einem Phänomen geworden, für das sich unglaublich viele Menschen interessieren. Wie oft sind Sie in den letzten Monaten eigentlich nach dem Ende der Serie gefragt worden?

Erstaunlicherweise gar nicht so oft. Aber das hängt sicher damit zusammen, dass ich meistens mit Leuten zusammen bin, die das Buch entweder auf Englisch gelesen haben oder sich ums Verrecken nicht die Spannung verderben lassen wollten. Es sind eher die Leute, die Harry Potter nicht lesen, die begierig nach Einzelheiten sind, um beim Partytalk mitreden zu können.

Aber es ist sicher ein gutes Gefühl zu wissen, was andere wissen wollen…

Darüber mache ich mir eigentlich keine Gedanken. Was ich viel schöner finde ist, dass die Menschen plötzlich wieder über ein Buch reden. Es wurde schon viel über das Ende dieses Mediums gesprochen, aber nun ist es wieder Tagesthema, die Zeitungen berichten darüber ausgiebig. Die arme SPD kommt mit ihrem Parteitag gar nicht in die Schlagzeilen. Schlechtes Timing für Herrn Beck. Auf dem Schulhof sprechen die Kinder über das Buch. Das macht mich richtig glücklich.

Und Ihre Kinder – sprechen die auf dem Schulhof auch über Harry Potter?

Meine beiden Söhne sind da ganz unterschiedlich. Den einen interessiert es nicht, Harry Potter zu lesen. Der andere ist stinksauer, dass ich nicht bereit bin, ihm vorab ein Exemplar zu geben, sondern dass er, wie die übrigen Leser auch, bis Mitternacht warten muss.

Der Carlsen Verlag ist in Hamburg Ottensen in einem ehemaligen Industriebau zu Hause. Als Tochtergesellschaft des dänischen Stammhauses wurde er 1953 gegründet. Am Anfang standen die Petzi-Bildergeschichten und die kleinformatigen Pixi-Bücher. Mit der Veröffentlichung des ersten „Tim und Struppi“-Albums begann 1967 der Aufbau der Comic-Sparte, die nun auch japanische Mangas umfasst. Seit 1998 erscheinen die deutschsprachigen Ausgaben der Harry Potter-Bücher bei Carlsen mit einer Gesamtauflage von bislang über 21 Millionen Exemplaren. JAN

Sie stecken mittendrin im Harry-Potter-Rummel. Mal abgesehen vom Coup Ihres Verlages: Was fasziniert Sie eigentlich so am Harry Potter-Erfolg?

Am Anfang ist da eine einzige Person, Joanne K. Rowling in diesem Fall, die eine Idee im Kopf hat. Dann zu sehen, was daraus für eine weltumspannende Geschichte wird, ist atemberaubend. Selbst, dass Sie jetzt hier sitzen und dieses Interview führen, hat ja seinen Ursprung in Edinburgh.

Sie haben Frau Rowling kennengelernt. Ist die nicht schon vollkommen abgehoben? Welchen Eindruck haben Sie von ihr?

Sie ist ziemlich beeindruckend in ihrer Klarheit. Sie ist gut geerdet. Sie ist immer noch schüchtern und sie hat immer noch keine große Lust auf den ganzen Zirkus. Sie ist eine Frau von derbem Witz, von großer Lust auf Punk-Musik und eine höchst amüsante Gesprächspartnerin. Im Jahr 2000 sind wir mit ihr eine Woche durch Deutschland getourt. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Jetzt hat sie ein Interview für einen Spiegel-Reporter gegeben, das exklusiv in 25 Straßenzeitungen erscheint. So etwas ist ihr einfach wichtig. Sie gibt nicht nur Floskeln ab und das macht auch ihre Bücher interessant, da in denen einfach viel Lebensklugheit steckt. Neben der Action haben ihre Geschichten eben auch noch eine andere Ebene, die das Lesen ihrer Bücher auch für Erwachsene interessant macht. Ich bin kein eingefleischter Fantasy-Leser, aber ich liebe den Witz und ich liebe die Freundschaften, die da entwickelt werden.

Dann können Sie ja auch sicherlich erzählen, welcher Harry Potter-Band Ihnen besonders gut gefallen hat?

Der dritte Band, „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“, findet sehr schöne Bilder für den Zustand unserer Psyche und unserer Ängste. Das finde ich perfekt. Das Buch sollte man unbedingt lesen – zumindest, wenn man nicht mit dem ersten Teil anfangen will. Die Bücher sind voller Anspielungen, voller Wortwitz. Was die Übersetzung übrigens auch sehr gut transportieren kann.