Mit rosa Rose ins Wohnzimmer

In jeder Frau steckt eine Monika: Am Sonntag feierte das Label Monika Enterprise mit seiner Chefin Gudrun Gut seinen zehnten Geburtstag in der Volksbühne. Eine treue Fangemeinde jubelte über Masha Qrella, Barbara Morgenstern und Co.

Das Grenzgängertum zwischen Indie und Elektro ist das Markenzeichen von Monika Enterprise

VON ADRIAN RENNER

Die Bühne ist noch dunkel an diesem Sonntagabend. Nur auf der Videoleinwand über den Instrumenten läuft schon ein kurzer Film, während sich der große Saal langsam füllt. Auf der Leinwand sieht man die Schöneberger Wohnung von Gudrun Gut und das Büro von Monika Enterprise, einen kleinen Raum voller Regale mit Platten und CDs. Chefin Gudrun Gut, diverse Freunde und Mitarbeiter halten stolz die Platten ihres Labels in die Kamera. Sie lachen ausgelassen, Gudrun Gut küsst jede Platte, die sie in die Hand nimmt. Denn ihr Label feiert seinen zehnten Geburtstag heute in der Volksbühne.

1997 hatte Gudrun Gut Monika Enterprise gegründet – heute ist es eines der renommiertesten deutschen Indie-Labels. Allerdings nicht durch seine Größe: Nur drei oder vier Alben werden im Jahr veröffentlicht. An zwei Händen lassen sich die Bands und Musiker des Labels abzählen. Doch deren musikalische Eigenständigkeit und Qualität hat Monika Enterprises im Laufe der Zeit treue Fans verschafft. Diese Gemeinde versammelt sich also am Sonntag in der Volksbühne; das Line-up aus fast allen Monika-Musikern ist schließlich bemerkenswert: Barbara Morgenstern mit einem exklusiven Piano-Set, Michaela Melian mit einem ihrer raren Live-Auftritte, Gudrun Gut mit ihrem ersten eigenen Album, dazu Auftritte von Chica and the Folder, den Quarks und Masha Qrella, so heißt es auf dem Plakat, das neben der Eingangstür hängt. Die Qarks eröffnen mit einem ihrer charmanten Gitarrenlieder den Abend – schließlich war ihr Debutalbum „Zuhause“ das erste Album, das bei Monika erschien.

Zuhause: so könnte auch die programmatische Überschrift der ersten Monika-Jahre lauten. Gegen Ende der Neunzigerjahre gab es für einige Musiker und Künstler keinen öffentlichen Ort mehr zum Auftreten. Sie passten weder hinter die DJ-Pulte in den Berliner Clubs noch auf die große Rockbühne. Sie entdeckten also das eigene Wohnzimmer als Auftrittsort, den Erker als Bühne, das Bügeleisen als Tresen. Gudrun Gut fand die ersten Monika-Musiker alle bei ihren Freunden in solchen Wohnzimmern.

Sie gründete dann das Label, um deren Musik veröffentlichen zu können. Und trotz aller stilistischen Unterschiede hört man immer noch diese Ursprünge heraus: nahe und intime Klänge, sanfte, unaufdringliche Zurückgezogenheit. Die Nummer drei im Monika-Katalog, die Compilation „Musik fürs Wohnzimmer“, steht für diese frühen Jahre. Irgendwann nach dem Quarks-Auftritt kommt der Moment für die Chefin. Mit einer rosa Rose steigt Gudrun Gut auf die Bühne, legt sie neben ihren Laptop und beginnt ihr Set. Selbstvergessen tanzt sie um das DJ-Pult, haucht mit dunkler Stimme Liedzeilen in ihr knallrotes Mikrofon, unterlegt von elektronischen Blues- und Boogie-Shuffles. Inzwischen ist sie in der Musik- und Kunstszene Berlins legendär. In den Achtzigerjahren gründete sie zusammen mit Blixa Bargeld die Einstürzenden Neubauten, spielte dann in den Frauenkunstpunkbands Malaria und Mania D. Später in den Neunzigern verhalf sie mit ihren Ocean Club-Abenden dem Techno in Berlin zum Durchbruch, bevor sie 1997 Monika Enterprise gründete.

Heute ist sie Labelchefin, DJ, Produzentin und Moderatorin ihrer wöchentlichen Radiosendung Ocean Club. In diesem Jahr folgte nach all ihren Bands und Projekten ihr erstes Soloalbum. Es bewegt sich, Monika-typisch, irgendwo zwischen Elektro und Pop, zwischen Song und Beats.

Dieses Grenzgängertum zwischen Indie und Elektro ist mittlerweile Monikas musikalisches Markenzeichen. Gudrun Gut vertritt keinen vorhersehbaren Stil bei der Entscheidung, ob jemand zu ihrem Label passt. „Ich muss eine künstlerische und musikalische Individualität sehen, und es muss mich, auf irgendeine Weise, berühren“, sagt sie. „Das ist meine Qualitätskontrolle für das Label.“ Ein Lied soll eine Geschichte erzählen und einem Gefühl Ausdruck verleihen: Traditioneller kann ein ästhetisches Programm kaum sein. Und dennoch klingt die Musik bei Monika immer unglaublich zeitgenössisch und modern. Gudrun Gut: „Es geht um den Song, aber wir sind trotzdem gleichzeitig Teil der Popkultur, Teil des Hier und Jetzt, wir wollen ja nicht altbacken klingen.“

Noch etwas anderes eint die meisten Musiker bei Monika: Sie sind meistens weiblich. Hinter dem Label steht – nicht laustark, aber doch unbestreitbar – ein gemeinsamer Begriff von Weiblichkeit. Jede der gut fünfzig bisher erschienenen Platten ziert auf dem Cover ein eigener Frauenkopf, eine „Monika“: klassische Porträts, Schauspielerinnen, Comic-Figuren oder Kinderköpfe. Lachend erklärt Gudrun Gut: „In jeder Frau steckt eine Monika.“ Aber tatsächlich sucht sie gezielt weibliche Künstler für ihr Label – und das nicht nicht nur, weil hier eine Marktlücke in Deutschland ist: „Mich berühren weibliche Stimmen einfach mehr.“

Im zweiten Konzertteil an diesem Abend sieht und hört man dann, was damit gemeint sein könnte. Michaela Melian sitzt auf schüchterne, fast distanzierte Art auf der Bühne, das Cello zwischen den Knien, aus den Boxen kommen ihre Klangcollagen, die Minimal-Techno und Kammermusik verbinden. Dichter dran ist man bei Masha Qrella. Sie braucht nur eine Gitarre und drei Lieder, und das Publikum ist restlos begeistert. Ganz am Schluss bei Barbara Morgenstern, der erfolgreichsten Monika-Musikerin, klatscht das Publikum schon, als sie nur die Bühne betritt, um ihr Klavier aufzubauen. Darauf spielt sie dann ein Klavierset „für Erwachsene“. Nah, vertraut, ganz direkt: Und die Volksbühne wird unter diesen Klängen zu einem einzigen großen Wohnzimmer.