Die kleine Wortkunde

Das Wort „Slum“, siehe auch Elendsviertel, Ghetto oder Favela, wird in den Nachrichten aus Rio de Janeiro verwendet, dort erobert die Polizei gerade das Stadtviertel Rocinha zurück und vertreibt dabei Drogenbanden.

„Rios größter Slum besetzt“ – wie muss man sich die Bilder zu dieser aktuellen Meldung vorstellen? Fensterlose Holzhütten auf einem vergifteten Stück Land? Notdürftig bekleidete Menschen, die im Dunklen dahindämmern? Und aus dem Dreck der schäbigen Hütte schauen mindestens sechs Paar Kinderkulleraugen die eintreffenden Polizisten und Journalisten an? Wohl kaum. Das Stadtviertel Rocinha besteht in weiten Teilen aus mehrstöckigen Mietshäusern, es gibt Licht, Strom und Wasser, auch Geschäfte und Bars. Seit Filmen wie „Cidade de Deus“ und „Slumdog Millionaire“ und Büchern wie „Planet of Slums“ ist ja alles eins geworden, irgendwie. Kalkutta, Kinshasa, Caracas, Unterschiede gibt es nicht mehr.

Das englische Wort „Slum“ hat sich, als Bezeichnung für Armenviertel, im 19. Jahrhundert entwickelt, aus der älteren Bezeichnung für Sumpf. Die Nähe zum deutschen „Schlamm“ ist noch gut erkennbar. Das führt heute allerdings meistens in die Irre, da viele der sogenannten Slums inzwischen urbanisiert wurden. Weder sind alle Slumbewohner arm noch wohnen alle Armen einer Stadt auch in deren Slums. Meistens sind die Beziehungen zur „Normalstadt“ viel enger, als das Wort es suggeriert. Neuere Vorschläge? „Ankunftsstädte“, „Niedriglohnviertel“ oder, frei aus dem Spanischen, „Jungstädte“ – klingt doch gleich ganz anders, oder? CARSTEN JANKE