„Sie hängen an einem kleinen Rest von Leben“

JETZT MAL IM ERNST… Soll ein Arzt beim Sterben helfen, Georg Maschmeyer? Auf keinen Fall, sagt der Palliativmediziner

■ 59, ist Leiter einer Potsdamer Palliativklinik. Er sitzt im Ausschuss für ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen der Bundesärztekammer.

INTERVIEW HEIKE HAARHOFF

„Es wird von uns Ärzten zu Recht erwartet, dass wir alles dafür tun, Leben zu erhalten“

taz: Herr Maschmeyer, Sie leiten eine Klinik, in der schwerstkranke Patienten behandelt werden. Wie vielen haben Sie als Arzt beim Sterben geholfen?Georg Maschmeyer: Bei uns wird täglich gestorben. Wir behandeln Menschen, die an Krebs, Leukämien und anderen schweren Bluterkrankungen leiden. Viele dieser Menschen können nicht geheilt werden. Es gibt einen Zeitpunkt, an dem wir Ärzte die Krankheit nicht mehr zurückdrängen können, weil die Aussichten auf Erfolg so gering sind, dass die Nebenwirkungen alles dominieren. Wir konzentrieren uns dann darauf, die Auswirkungen der Krankheit zu bekämpfen, also Atemnot, Verstopfung, Schmerzen, Angst oder Übelkeit, aber nicht mehr die Krankheit selbst. Ich mache das seit 1981. Persönlich beim Sterben begleitet habe ich sicher einige hundert Menschen. Eine aktive Lebensbeendigung, indem ich jemandem eine Spritze gegeben oder eine Pumpe hochgefahren habe, damit er aufhört zu atmen, habe ich aber natürlich noch nie gemacht. Warum „natürlich“ nicht? Die Tötung auf Verlangen ist in Deutschland verboten. Sie führt dazu, dass man bestraft wird und seine Zulassung verliert. Aber wenn es erlaubt wäre, könnten Sie es sich vorstellen? Nein! Schauen Sie, im Regelfall kommen Patienten zu uns, die ausgesprochen schwer leiden und intensiv palliativmedizinisch betreut werden müssen. Anschließend können sie häufig zurückgehen, nach Hause, in ein Pflegeheim, ins Hospiz. Das ist die Regel. Die Ausnahme gibt es aber auch. Es kommt vor, dass Patienten im Moment der Aufnahme so verzweifelt und so gequält sind, dass sie sagen: „Jetzt geben Sie mir endlich eine Spritze, damit das aufhört!“ Es ist ein schwieriger Punkt, weil man sieht, wie unglaublich sie leiden, und es wäre ein Leichtes, ihnen eine solche Spritze zu geben …… aber? Sobald wir die akuten Beschwerden beseitigt haben, ist dieses Verlangen zu sterben innerhalb von Minuten bis Stunden weg. Es wird abgelöst durch den Wunsch, weiterzuleben. Und zwar auch in einem Zustand, den diese Patienten sich vielleicht noch vor ein paar Wochen so nicht hätten vorstellen können. Sie hängen plötzlich an einem ganz kleinen Rest von Leben. Das gilt selbst für diejenigen, die eine Patientenverfügung auf dem Nachttisch liegen haben, in der etwas ganz Anderes steht. In der Akutsituation wollen die Patienten zu 90 Prozent nicht, was sie da geschrieben haben. Und dann müssen wir Ärzte herausfinden, was im Moment ihr tatsächlicher Wunsch ist. Angenommen, der Todeswunsch des Patienten bleibt dennoch stabil und er bittet Sie mehrfach, ihm ein todbringendes Medikament zu überlassen, was derzeit in Deutschland strafrechtlich nicht verboten ist. Helfen Sie ihm? Das sind diese konstruierten Fälle aus Talkshows. Ein solcher Fall ist mir in 33 Jahren Berufspraxis nicht vorgekommen. Die Menschen wollen vielleicht sterben, aber sie wollen sich nicht selbst das Leben nehmen. Sie wollen, dass der Arzt das für sie erledigt. Jetzt sage ich aber, ich schlucke das Medikament selbst, Ihnen passiert strafrechtlich gar nichts. Was tun Sie? Ich würde es nicht machen, das kann ich sicher sagen. Es wird von uns Ärzten zu Recht erwartet, dass wir alles dafür tun, Leben zu erhalten und nicht darüber nachzudenken, wie wir es beenden können. Der Patientenwille hat Grenzen? Es geht nicht um Bevormundung oder darum, den Moralapostel zu geben. Diejenigen Menschen, die uns darum bitten, ihnen ein Medikament zu überlassen, sind keine Sterbenden. Sie wollen vorbeugen für einen Zeitpunkt X. Im Übrigen wissen wir, dass 90 Prozent der Menschen mit Suizidwunsch psychisch krank sind. Empirische Daten aus dem US-Bundesstaat Oregon, wo ärztlich assistierter Suizid legal ist, zeigen doch aber gerade, dass allein die Möglichkeit, mit dem Arzt offen über Sterbehilfe sprechen zu können und für den Notfall über einen Medikamentenvorrat zu verfügen, häufig Selbsttötungen verhindert. Ich würde diese Oregon-Daten sehr skeptisch interpretieren. Von denen, die ärztlich assistierten Suizid begangen haben, gaben 60 Prozent als Grund an, anderen nicht zur Last fallen zu wollen. Über 90 Prozent haben gesagt, sie wollten nicht länger auf Hilfe angewiesen sein. Und nur knapp 30 Prozent haben gesagt, sie hätten Angst vor unerträglichen Schmerzen. Was aber noch bedrückender ist: Von den Betroffenen aus Oregon sind 86 Prozent einsam und allein gestorben, irgendwo in einem Heim. Das ist kein Ausdruck von Entscheidungsfreiheit. Das ist ein Ausdruck von Elend. Die Frage nach der Zulässigkeit ärztlicher Beihilfe zum Suizid könnte 2015 zur zentralen bioethischen Debatte werden. Der Bundestag diskutiert mehrere Gesetzesentwürfe, wonach die bislang legale Beihilfe zur Selbsttötung verboten werden soll – möglicherweise auch für Ärzte. Ist das richtig? Es geht in den meisten Entwürfen darum, die gewerbsmäßig oder geschäftsmäßig betriebene, organisierte Suizidbeihilfe dubioser Sterbehilfevereine zu untersagen und auch die Werbung dafür. Das ist in Ordnung. Im Zweifel würden sich künftig Ärzte, die anders denken als Sie, berufsrechtlich strafbar machen, wenn sie Menschen helfen, sich selbst zu töten. Ich denke, das ist prinzipiell auch in Ordnung so. Nehmen Sie die Zahlen aus Holland und Belgien an, da sehen Sie, wohin eine Freigabe führen kann. In Belgien wurde das Gesetz, das Tötung erlaubt, in den letzten zehn Jahren 25 Mal ausgeweitet. In Holland sterben 2,8 Prozent der Menschen durch Euthanasie. Wenn die Gesellschaft sich einmal an die Möglichkeit gewöhnt hat, öffnet das Tür und Tor. Es wird dann mit edlen Motiven argumentiert, aber tatsächlich wird eine Exit-Strategie eröffnet – für Menschen, die als soziale Belastung empfunden werden. Ich halte das für ethisch problematisch. Das Dammbruch-Argument ist eine Unterstellung. In Deutschland diskutiert doch niemand die Legalisierung der Tötung auf Verlangen. Mir macht das trotzdem Sorge. Wir müssen uns um die Schwächsten kümmern, statt zu sagen, es wäre ein Element der Freiheit, dass Patienten aus dem Leben scheiden können. Halten Sie den ärztlich assistierten Suizid für unvereinbar mit dem ärztlichen Ethos? Ich sage ganz klar: Wir Ärzte haben schon jetzt alle Möglichkeiten, die wir brauchen, um Sterbenden legal zu helfen. Wir können Patienten ausreichende Mengen von Medikamenten verschreiben, ihnen so Schmerzen und Angst nehmen. Wir können durch Entlastung von Wasser in der Lunge die Luftnot beseitigen. Und wenn Menschen mit Beginn des Sterbeprozesses darüber hinaus unsere Hilfe brauchen, dann geben wir ihnen Beruhigungsmittel. Das ist unsere tägliche Praxis. Sie erfolgt nicht im Graubereich, sondern sie entspricht den Grundsätzen der ärztlichen Sterbebegleitung. Wir sind verpflichtet, so zu handeln. Selbst wenn wir den Sterbevorgang damit verkürzen sollten.