Schon 40 Jahre ohne Muff

Im November 1967 protestierten zwei Studenten mit einem berühmt gewordenen Plakat an der Uni Hamburg gegen demokratiefreien Raum und starre Standeshierarchien und für die moderne Gremienuniversität. Der Wandel kam langsam

1848: Revolutionär Robert Blum wird geköpft. Die bürgerliche Revolution in Deutschland ist damit endgültig gescheitert. 1918: Philipp Scheidemann ruft in Berlin die Deutsche Republik aus. 1923: Hitler probt den Putsch in München und landet in Festungshaft. Hier schreibt er „Mein Kampf“. 1938: Bei der Reichspogromnacht werden tausende Synagogen in Brand gesetzt. 1939: Georg Elser plant ein Attentat auf Hitler. Das Attentat scheitert. Elser wird später an der Schweizer Grenze aufgegriffen und im KZ ermordet. 1967: Die Hamburger Asta-Vorsitzenden protestieren mit dem Plakat „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ gegen die autokratische Herrschaft der Ordinarien an deutschen Unis. 1969: Ein Bombenanschlag der linksradikale Organisation Tupamaros West-Berlin auf das jüdische Gemeindezentrums der Stadt kann in letzter Sekunde verhindert werden. 1989: Politbüro-Mitglied Günter Schabowski erklärt, dass die neuen Reisebestimmungen „von der DDR nach der BRD unverzüglich“ gelten. Die Mauer ist offen. JME

VON JON MENDRALA
UND PHILIPP DUDEK

Erst am Tag zuvor hatten sie auf der Moorweide geprobt, in unmittelbarer Nähe zum Campus ausprobiert, wie das Plakat am besten entrollt werden sollte. „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ stand in weißer Schrift auf dem schwarzen Banner. Das Plakat sollte zur Ikone, zum Leitspruch für tausende Studenten in der ganzen Bundesrepublik werden.

Am Tag darauf, am 9. November 1967, sollte das Semester an der Universität Hamburg feierlich durch den Uni-Rektor eröffnet werden. Die beiden damaligen Asta-Vorsitzenden Detlev Albers und Gert Hinnerk Behlmer wollten sich nicht an die Dramaturgie der Zeremonie halten. Dabei war alles von der Uni sorgfältig geplant: Die Professorenschaft sollte in ihren Talaren, die ihre standesgemäßen Unterschiede gegenüber allen anderen universitären Statusgruppen dokumentierten, in den großen Hörsaal einziehen. Ein wenig erinnerte das Schauspiel an eine katholische Prozession.

Die Lehrstuhlinhaber, die so genannten Ordinarien, schritten die Treppe hinunter und merkten erst in diesem Augenblick, dass Albers und Behlmer vor ihnen gingen. Die beiden Studenten hatten ihr Transparent entrollt. Die Probe hatte sich gelohnt.

„Wir hatten das Gefühl etwas tun zu müssen, um die herrschenden Zustände zu verändern“, erinnert sich Detlev Albers heute. „Wir konnten nicht akzeptieren, dass uns die Uni zum Duckmäusertum erziehen wollte.“ Richtig mutig habe er sich dabei aber nicht gefühlt. Um den Schein der Semestereröffnungszeremonie zu wahren, mussten die beiden Studenten nach der Plakat-Aktion den Rest der Feierlichkeiten aus der ersten Reihe mitverfolgen. Erst danach drohte man ihnen mit disziplinarischen und juristischen Konsequenzen.

„Die Atmosphäre an den Universitäten war von Argwohn, Ablehnung und Wut gegenüber der Professorenschaft geprägt“, sagt Albers. Wie Pennäler seien die Studenten damals behandelt worden. Versuchten sie durch konstruktive Gremienarbeit Veränderungen herbeizuführen, wurden sie verlacht. „All unsere Vorschläge sind ergebnislos verpufft – jahrelang“, sagt Albers. Zentrales Moment ihres politischen Engagements war die nicht aufgearbeitete Vergangenheit des „Dritten Reiches“ und die Strukturen der so genannten „braunen Universität“.

„Ihr gehört ins KZ gesteckt“, hatte dann auch ein Professor gerufen, der im Publikum saß, als Albers und Behlmer ihr Plakat entrollten. Erst nach monatelangem Hin und Her sei der Islamwissenschaftler später von der Uni verwiesen worden. „Das muss man sich mal vorstellen“, sagt Behlmer. Über die Nazi-Verstrickungen von Wissenschaftlern und die NS-Vergangenheit der Universität wurde damals beharrlich geschwiegen, das Thema tabuisiert.

Als Albers und Behlmer studierten, war die Uni Hamburg noch eine Ordinarien-Universität. „Die autokratische Struktur der Ordinarienherrschaft, der alle Lehrstuhlinhaber angehörten, war nicht nur von Konservativismus und Standesdünkel geprägt“, sagt Behlmer. „Sie lebte auch von Einschüchterung und Entmündigung.“

Die Studentenschaft hatte damals auf ein Zeichen wie das von Behlmer und Albers gewartet, die Presse eher nicht. Das Medienecho auf die Plakat-Aktion fiel vor 40 Jahren ziemlich mau aus. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb tags darauf, dass es schon seltsam sei, den Muff von 1000 Jahren anzuprangern – denn so alt sei die 1919 gegründete Universität doch gar nicht. Auch im Spiegel erschien nur ein Zweispalter unter der Rubrik „Hochschule“. Offenbar ist die Aktion nicht von allen verstanden worden.

Albers und Behlmer ließen sich davon nicht beirren: Sie wurden die Mitinitiatoren der Kritischen Universität (KU) in der Hochphase der Außerparlamentarischen Opposition 1967 / 68. Die KU, in der kritische Studenten und wissenschaftliche Assistenten ihre Kommilitonen unterrichteten, war das Gegenmodell zu dem als reaktionär empfundenen Lehrbetrieb. Bis 1970 saßen Albers und Behlmer außerdem als studentische Beauftragte in der Gründungskommission der Universität Bremen. Die galt als Reformhochschule. Hier sollten nicht länger die Ordinarien herrschen – das Modell der heutigen Gremienuniversität wurde etabliert.

Am Ende hat sich das Auflehnen für beide gelohnt. Dank des Amnestiegesetzes aus dem Jahre 1971 konnte auch Gert Hinnerk Behlmer noch Karriere machen. Nach seinem Jurastudium trat er in den Staatsdienst über und stieg dort bis zum Staatsrat der Hamburger Kulturbehörde auf. Von der These, dass die 68er durch ihre Proteste die Bundesrepublik ein zweites Mal gegründet hätten, wollen die beiden aber lieber nichts wissen. „Wir sind keine Staats-, sondern Universitätsgründer“, sagt Albers. Der Mann lehrt bis heute als Politikprofessor in Bremen.