Erst Rassismus bringt Rasse hervor

GEDENKEN Etwa 160 Menschen gedachten am Samstag bei einem Marsch durch Mitte der afrikanischen Opfer von Kolonialismus, Versklavung und rassistischer Gewalt

Vor dem Justizministerium forderten die AktivistInnen eine Änderung des Grundgesetzes

Am Samstag erinnerten etwa 160 Menschen an die Opfer von Versklavung, Menschenhandel, Kolonialismus und rassistischer Gewalt. In einem friedlichen Gedenkmarsch vorbei an der „Mohrenstraße“, deren Name seit Jahren stark umstritten ist, dem Auswärtigen Amt und dem Humboldt-Forum riefen sie dazu auf, die Verbrechen gegen schwarze Menschen anzuerkennen und strukturellen Rassismus zu bekämpfen.

An dem seit 2006 stattfindenden Gedenkmarsch beteiligten sich neben Sympathisanten und Politikern insgesamt 13 Vereine und Verbände der Schwarzen Gemeinde in Deutschland – dabei unter anderem Berlin Postkolonial, AfricAvenir und die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) war erstmals vertreten.

Neben der jahrelangen Forderung nach Umbenennung kolonialer Straßennamen zu Ehren afrikanischer beziehungsweise schwarzer Persönlichkeiten kamen dieses Jahr auch andere Themen auf den Tisch. So forderte GEW-Vorstandsmitglied Norbert Hocke dazu auf, in Schulen stärker als bislang für die europäischen Kolonialverbrechen zu sensibilisieren. Er plädierte auch für eine vorurteilsfreie Darstellung in Lehrbüchern: „Noch immer werden Menschen schwarzer Hautfarbe in Texten und Bildern rassistisch abgebildet. Das muss ein Ende haben“, so der Gewerkschaftler.

Bildung spielte auch in der Ansprache des grünen Bundestagsabgeordneten Özcan Mutlu eine große Rolle. „Rahmenlehrpläne und Lehrkräfteausbildung müssen geändert werden“, so der Politiker. „ErzieherInnen müssen dazu in die Lage versetzt werden, auf die biographischen Hintergründe ihrer SchülerInnen einzugehen und ihren Unterricht dahingehend zu gestalten.“ Darüber hinaus forderte er einen zentralen Gedenkort für die Opfer kolonialer Verbrechen.

Die bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und ihre öffentliche Thematisierung stehen seit Jahren im Mittelpunkt des Marsches. Dazu gehört laut dem Politikwissenschaftler und ISD-Mitglied Joshua Kwesi Aikins insbesondere das Bewusstsein, dass Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbunden sind. „Der heutige Rassismus geht auf die Kolonialzeit zurück“, erläutert der Aktivist. „Vielen sind die negativen und herabwürdigenden Assoziationen bestimmter Worte nicht bewusst. Das zeigt, wie fest dieses Fundament mittlerweile gebaut ist – Grundlage für strukturellen und institutionellen Rassismus von heute.“

Vor dem Justizministerium angekommen, forderten die AktivistInnen eine Änderung des Grundgesetzes: Von „Niemand darf wegen seiner Rasse“ hin zu „Niemand darf aus rassistischen Gründen“ benachteiligt werden. Denn menschliche Rassen gäbe es nicht, so Aikins und erklärt: „Rassismus bringt Rasse hervor, nicht andersherum.“

Im nächsten Jahr feiert der Gedenkmarsch sein zehnjähriges Jubiläum. Bis dahin hoffen die AktivistInnen auf ein breites zivilgesellschaftliches Engagement und das Entgegenkommen der zuständigen Bezirksämter in Sachen Gleichheit von Schwarz und Weiß.

FANNY LÜSKOW