Ein leuchtend roter Keil

PORTRÄT Zu einer unwahrscheinlichen Ausstellung von Mark Kubitzke, nicht mehr ganz zu Lebzeiten

Seine Collagen sind so etwas wie ein Tagebuch seiner globalen Erfahrung

VON ULF ERDMANN ZIEGLER

Von den wenig bekannten Künstlern Berlins gehörte er zu den Unbekanntesten. Allerdings nur sein Werk, denn er, Mark, dessen Zunamen niemand wusste, war über viele Jahre sichtbar. Im Winter trug er eine knallrote, wattierte Jacke, so dass er auf seinem Fahrrad, vom Wedding her kommend, als leuchtend roter Keil im Kunstzentrum eintraf. Er trug keine Mütze, denn er hatte genug schwarze Haare auf dem Kopf. Er war schmal und blieb schmal, deshalb wechselte er auch nicht seine Bluejeans. Mark war, mit einem gewissen Leuchten in seinen braunen Augen, die Propagandaabteilung des Armen Künstlers. Ganz auf eigene Faust und ganz allein. So hatte er es sich ausgesucht. Wahrscheinlich.

Seine beste Zeit und den größten Spaß hatte er in den achtziger Jahren an der HdK (heute UdK), in der Klasse von Walter Stöhrer, dessen Meisterschüler er wurde. Mark wurde gemocht von seinem Lehrer und von den anderen werdenden Künstler(inne)n. Damals entwickelte er seinen Collagestil, der nicht die „trügerische“ Montage der zwanziger Jahre fortsetzte, sondern Gefundenes und Gerissenes in einem vagen Bildraum schweben ließ. Im Umgang mit dem objet trouvé neigte er zu Rauschenberg, im malerischen Freistil zu de Kooning, in der Konkretheit seiner Figuren zu Hockney. Seine Farben wurden über die Jahre ziemlich mischlichtig, aber immer wieder kam das helle Grün, Blau und Orange hervor, Farben, wie sie Otl Aicher für die Olympischen Spiele 1972 kombiniert hatte. Da war Mark zwölf.

Zwei Jahre später lernte ich ihn kennen. In Neumünster. Das holsteinische Idiom hatte er für immer aufbewahrt.

Die Ausstellung mit „Collagen und Fotografien“ von Mark Kubitzke, die heute im SCHAU FENSTER am Moritzplatz eröffnet, geht auf Katharina Hohmann zurück, damals Studentin bei Leiko Ikemura und Wolfgang Max Faust an der HdK und seit Kurzem Professorin für Skulptur und Öffentlichen Raum in Genf. Sie begann in diesem Jahr Marks Papierarbeiten zu sichten. Diese leben von seiner Verbindung zur Musik – Ska, Reggae, Stax und die aktuellen Mischformen des Londoner Karnevals – und seinen Reisen nach Nord- und Südamerika, in den letzten Jahren nach Westafrika, durchsetzt mit kunst- und kulturgeschichtlichen Referenzen, die Hohmann mit ihm diskutierte, noch in der letzten Woche seines Lebens.

Der eigene Soundtrack

Er hatte die Karten fast sämtlicher Länder der Erde im Kopf, oft auch abrufbar die jüngere politische Geschichte. Seine Collagen sind so etwas wie ein Tagebuch einer globalen Erfahrung, die einem in keinem Augenblick verlässt: das persönliche Cover des eigenen Soundtracks. Von allen LP-Sammlern, die ich kenne, war er der extremste.

Erst als er schon ziemlich krank war und ich fürchtete, niemand würde jemals seine Kunst sehen, fiel mir auf, was für ein ungewöhnlicher Erzähler er war. Da saßen wir nach meiner Lesung in einer Zehnerrunde und er erheiterte alle durch ausladende Geschichten mit wohlgesetzten Pointen, die nach Räuberpistolen und Seemannsgarn klangen. Nur, er hatte das so wenig erfunden wie sein exzentrisches Leben am Rande, ein Leben im Atelier mit Katze über der Panke.

Wenn man heute Mark Kubitzke auf Amazon findet, dann wegen der zwei gelben Hefte (Nr. 100 und 104), die der SuKultur Verlag veröffentlicht hat: „Mit Tomsky über Grenzen“ und „In Las Vegas“. Die Reiseberichte waren der Beginn unserer Arbeit an seiner Biographie. Mark war nämlich nicht nur in Berlin beliebt als jemand, der durch Geistesblitze Eindruck machte. Das funktionierte überall, von Salvador de Bahia bis nach Lesosibirsk. Er fürchtete nicht gewisse Verwüstungen, Wodkapartys und nächtliche Crack-Séancen: „Wer sich nicht in Gefahr begibt“.

Während er als Student geglaubt hatte, die Kunstwelt sei groß und würde ihn schon schlucken wie der Wal den Jonas, kam die Ernüchterung bald. Manche frühere Kommilitonen gaben die Kunst auf, um Geld zu verdienen, und andere fraßen sich ihre Spur in den Kunstbetrieb. Hier stand Mark auf dem Schlauch. Er sprach so gern mit allen, aber er betrieb keinen Smalltalk. Er erzählte Damen und Herren der Gesellschaft, was ihm einfiel, solange er nicht wusste, wer sie waren. Aus den simplen Umständen, Talent zu haben, gemocht zu werden und gut auszusehen, wusste er keinen Reim zu schmieden. Keinen, der sich auf Kubitzke reimte. Seine Unfähigkeit, etwas zu fordern, zog sich bis weit in seine Krebserkrankung: Er konnte Ärzte nicht beim Wort nehmen und glaubte sich missverstanden. Tatsächlich aber hat ihn der Sozialstaat gut aufgefangen. Und am Ende war es kaum noch möglich, ihn allein zu besuchen: kein Termin mehr frei. Er starb in einem hervorragenden Hospiz der Diakonie in der Bernauer Straße mit Aussicht auf ein Mauer-Denkmal.

Abonnent der taz wurde er erst, nachdem er keine Kraft mehr hatte, täglich Tabak & Zeitung kaufen zu gehen. Dabei hatte er eine spezielle Gewohnheit. Er las unsere Zeitung, in der er nicht vorkam, ganz. Er las sie durch, von vorn bis hinten. Seinem enormen Horizont, vor dem er selbst ein Flüchtling der Gegenwart war, hat es nicht geschadet.

■ Mark Kubitzke: „Lingering On“, Collagen und Fotografien. SCHAU FENSTER, Lobeckstraße 30–35. Geöffnet Do–Sa 16–19 Uhr, bis 4. Dezember. Von außen jederzeit einsehbar