Öko-Vorbilder in der chinesischen Wüste

Zug um Zug zur Klimakonferenz nach Bali: Nach 35 Tagen Reise, 5.500 Kilometern im Zug und 2.000 im Bus erreicht der taz-Reporter die chinesische Provinzhauptstadt Ürümqi – und ist zunächst überrascht, wie präsent Umweltschutz im Alltag ist

Fliegen ist die klimaschädlichste Fortbewegung. Trotzdem nutzen Anfang Dezember rund 6.000 Diplomaten, Wissenschaftler, Minister, Lobbyisten, Klimaschützer, Journalisten diesen Weg, um auf die indonesische Insel Bali zu gelangen. Dort findet vom 3. bis 14. Dezember der nächste Weltklimagipfel statt.

taz-Umweltredakteur Nick Reimer hat sich stattdessen mit dem Zug in Richtung Bali aufgemacht. Ist das eine Alternative? Welche Rolle spielt der Klimawandel im Alltag der Menschen auf dem Weg nach Bali? Ist Klimapolitik ein Wohlstandsphänomen? Einmal in der Woche berichtet Nick Reimer über seine Reiseeindrücke.

AUS KASHGAR UND ÜRÜMQI NICK REIMER

„Das chinesische Wirtschaftswunder ist bald zu Ende, denn die Umwelt hält nicht mehr mit: Auf einem Drittel des chinesischen Territoriums geht saurer Regen nieder, ein Viertel der Bürger hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Ein Drittel der Städter muss stark verdreckte Luft einatmen, weniger als 20 Prozent des städtischen Mülls wird umweltgerecht entsorgt.“ Pan Yue, Vizedirektor der Umweltbehörde Sepa der Volksrepublik China

Wer auf der Seidenstraße von Westen aus nach China reist, kommt zuerst nach Kashgar. In Chinas westlichster Stadt hängen immer zwei Abfalleimer nebeneinander: für normalen und für recycelbaren Müll. Auf den Dächern prangen Solaranlagen. Motorräder mit Verbrennungsmotoren sind die absolute Ausnahme, üblich ist Elektroantrieb. Die Glühbirne ist längst verbannt zugunsten von Energiesparlampen. Selbst auf den Basaren leuchten die Händler ihre Waren mit Energiespartechnik aus. Schulklassen putzen vor Schulbeginn mit Lappen und Besen Straßen, Reklameschilder und Mülleimer, „damit die Kinder Sauberkeit lernen“, wie eine Lehrerin erklärt.

Der Himmel ist blau, die Luft rein, auf den Straßen rollen unzählige grün-weiße Taxis Marke VW Santana – natürlich mit umweltfreundlichem Flüssiggas betankt. Und wirft wirklich ein Passant mal etwas auf die Straße, ist sofort ein Straßenfeger zur Stelle. China, ein Umweltdesaster? Kashgar könnte vielmehr als urbanes Ökovorbild für bundesrepublikanische Großstädte gelten.

Vielleicht ist Kashgar aber gar nicht China. „Kashi“, wie die Chinesen Kashgar nennen, soll heute etwa 500.000 Einwohner haben. Die wenigsten davon sind allerdings Chinesen: Kirgisen, Uiguren, Tadschiken und Usbeken stellen die Mehrheit, neben den Han-Chinesen leben hier Pakistani, Dunganen, Kasachen, Paschtunen, Kyptschaken. Hongkong, Rom, Karatschi, Aleppo, Peking – welchen Weg die Karawanen der Seidenstraße einst auch nahmen, alle mussten sie durch Kashgar. Und alle brachten fremde Kulturen mit.

Wer weiter nach China will, muss von Kashgar aus die Wüste Taklamakan durchqueren, eines der brutalsten Trockengebiete der Welt: Der schwedische Entdeckungsreisende Sven Hedin brach vor 110 Jahren mit einer großen Karawane und sehr viel Erfahrung auf, um die 1.000 Kilometer breite Wüste erstmals zu vermessen. Drei Mann überlebten das Desaster, darunter Hedin. Taklamakan heißt: Wer hineingeht, findet nie wieder heraus. Heute ist der 2.000 Jahre alte Handelsweg eine gut ausgebaute Fernverkehrsstraße, die locker jeden Vergleich mit deutscher Infrastruktur aufnehmen kann. Allerdings gibt es wesentlich weniger Verkehr, hauptsächlich Busse und jene Laster, die die Seidenstraße Richtung Europa befahren. Private Pkws sind eine Seltenheit. Denn neben den Kosten für das Fahrzeug selbst fallen hohe Gebühren für Nummernschilder an, die von der Polizei versteigert werden.

Im Liegebus, der Doppelstockbetten statt Sitzen enthält, geht es in die 700 Kilometer entfernte Oasenstadt Kuqa. Auch hier ist von Umweltsünden wenig zu sehen: Auf den Dächern produzieren solarthermische Anlagen warmes Wasser, die Duschen sind mit Wassersparbrausen ausgestattet. Auf dem Weg nach Ürümqi, der Hauptstadt der Provinz Xingjiang, sind alle paar Kilometer Solarkraftwerke zu sehen. Und bei Dabancheng vor den Toren Ürümqis drehen sich hunderte Windräder in einem der größten Windparks der Welt.

Auf den zweiten Blick allerdings wird klar, dass auch die Provinz Xingjiang keine heile (Um-)Welt mehr ist. Auch in Kashgar, Kuqa oder Ürümqi gilt als modern, was aus Beton gegossen und himmelhoch gebaut ist. Zunehmend abgerissen werden darum die traditionellen, in Lehmbauweise errichteten Viertel, bei denen die Sonne die Ziegel brannte und der Verputz vom Feld kam. Die neuen Betonbauten verbrauchen für Zement und Stahl hingegen jede Menge Strom, der in China hauptsächlich in klimaschädlichen und besonders ineffektiven Kohlekraftwerken produziert wird.

Und auch die Sache mit den zwei Abfalleimern ist beim zweiten Blick weniger beeindruckend: Ob „Recyclable“ draufsteht oder „Non recyclable“ – der Inhalt ist in beiden Eimern der gleiche: der letzte Dreck.