Experte des Terrors

Einstmals Held der Linken: „Terror’s Advocate“ von Barbet Schroeder eröffnet das One World Filmfestival im Arsenal

Der französische Rechtsanwalt Jacques Vergès ist seit „Hotel Terminus“ von Marcel Ophuls auch eine Figur des Kinos. Seine Verteidigung von Klaus Barbie, dem „Schlächter von Lyon“, während der nationalsozialistischen Besatzung, stieß in den Achtzigerjahren auf weitgehendes Unverständnis, sein selbstbewusstes Auftreten ließ ihn prädestiniert erscheinen für weitere Schurkenrollen. Doch diese bekommt er nun in dem Dokumentarfilm „L’Avocat de la terreur“ von Barbet Schroeder, mit dem morgen Abend im Arsenal das One World Filmfestival für Menschenrechte und Medien eröffnet wird, gar nicht zugewiesen. Stattdessen erscheint Vergès, der Freund eines Terroristen wie Pol Pot und eines Terroristen wie „Carlos“, als eine zutiefst von der eigenen Sache überzeugte Figur, über die Schroeder das Urteil erst sehr spät – wenn überhaupt – spricht.

Was aber war die Sache, die es erlaubte, Nazis und Befreiungskämpfer, Bombenleger und Diktatoren vor Gericht zu verteidigen? Für Jacques Vergès ist Frankreich in jeder Hinsicht eine Kolonialmacht. Er kam 1925 in Thailand als Sohn eines französischen Beamten (aus Réunion) und einer Vietnamesin zur Welt. Seine prägende Zeit als Anwalt erlebte er während des Algerienkriegs, als er die Verteidigung von Djamila Bouhired übernahm, einer schönen Frau, die an Sprengstoffanschlägen beteiligt war. Sie wurde zur Symbolfigur des algerischen Freiheitskampfs, für ihre Begnadigung von der Todesstrafe marschierten Demonstranten in aller Welt.

Vergès und Djamila Bouhired wurden ein Paar, die Revolution nach maoistischem Muster wurde später ihre Sache. Sie engagierten sich für Befreiungskämpfe in aller Welt. Selbst für einen dicht gearbeiteten und weit ausholenden Dokumentarfilm wie den von Barbet Schroeder ist das Leben von Jacques Vergès nicht einmal in Ansätzen einzuholen. Dabei ist es erstaunlich, wie viel „L’avocat de la terreur“ immer noch herausholt aus den komplizierten Zusammenhängen der antikolonialen Kämpfe – die palästinensische Sache wurde nach 1970 zum Dreh- und Angelpunkt, auch für Vergès, der später Barbie vor allem deswegen verteidigte, weil es ihm auch in dieser Sache darum ging, Frankreich als Terror- und Foltermacht bloßzustellen, die der Gestapo nicht nachsteht.

Barbet Schroeder organisiert seinen Film als vielstimmigen Chor, der keineswegs immer zu einer einhelligen Interpretation beiträgt, aus dem sich allmählich aber doch so etwas wie eine Moral herausbildet: Vergès, der in diesem Chor die prominenteste Stimme innehat, gerät durch das präsentierte Material immer mehr unter Druck, sodass irgendwann seine (plausiblen) Motive und sein Geltungsbedürfnis unterscheidbar werden (ein profanes Motiv wie Geld spielt auch eine Rolle). Vor allem die Rolle der DDR-Staatssicherheit ist äußerst dubios, es sieht ganz danach aus, als wäre Ost-Berlin ein Drehkreuz des internationalen Terrorismus in den Siebzigerjahren gewesen.

Vergès ist ein Experte der Mystifikation, und vermutlich musste Barbet Schroeder sich auch deswegen vor eindeutigeren Zuweisungen hüten, weil jede Behauptung in seinem Film selbst Gegenstand eines Rechtsstreits hätte werden können. Das nötigt ihn zu einer Dramaturgie, die manche wünschenswerten Eindeutigkeiten unterlässt, gerade deswegen aber einen Raum eröffnet, der die Konfusionen des „Jahrhunderts der Extreme“ sehr anschaulich werden lässt.

Das Festival One World wird nach der Eröffnung bis zum 21. November fortgesetzt. Auf dem Programm stehen unter anderem noch die schon vielfach besprochene Dokumentation „Manufacturing Dissent: Michael Moore and the Media“, ein kritischer Blick hinter die Kulissen des Ein-Mann-Politimperiums des populärsten Kapitalismuskritikers, und zahlreiche weitere interessante Beiträge aus dem Feld der politischen Aufklärungsarbeit. BERT REBHANDL

One World Berlin, ab heute im Arsenal, Programm unter www.fdk-berlin.de