Tausche Punkrock gegen Schlafsack

PROTESTSONGS Radio Havanna sind Musiker und Aktivisten in einem. Mit ihrem neuen Album „Unsere Stadt brennt“ sind sie im Lido zu sehen und sammeln Spenden für Flüchtlinge

Ihr politisches Engagement ist ein Mitbringsel aus der Heimat, wo Sänger Fichte „jedes Wochenende Stress mit Faschos“ hatte

„Unsere Stadt brennt“ klingt nach Ärger über ein provisorisches Flüchtlingslager und eine besetzte Schule, nach Wut auf steigende Mieten und Gentrifizierung, nach Anschlägen auf teure Autos in Mitte. Kurz: Der Titel des neuen Albums der Punkrockband Radio Havanna lässt an Berliner Sorgenthemen denken. Für die vier Musiker, die 2007 aus Suhl in Thüringen in die Hauptstadt zogen, bleibt die Stadt indes namenlos, Probleme gibt es überall.

Auf „Unsere Stadt brennt“ besingt die 2002 gegründete Band kaputte Schulen, kaputte Lehrer, kaputte Banken – ein kaputtes Land, eine kaputte Welt. Nur die Festung Europa, die steht ihrer Meinung nach feuerfest – eher ertrinken noch Tausende Flüchtlinge auf dem Weg nach Lampedusa. „Schiffbruch“ heißt gleich der erste Song, er schildert das Mittelmeerdrama aus der Sicht eines Bootsflüchtlings. Radio Havanna verschenkten das Lied als Download und riefen zugleich zu Spenden für Pro Asyl auf. „Schiffbruch“ entstand, als Flüchtlinge ein Hosteldach in Friedrichshain besetzten. „Wir vertonen das, was uns bewegt und wir hautnah erleben“, sagt Sänger Christian Fichtner („Fichte“).

Für Oxfam marschierte die Band in der Vergangenheit 100 Kilometer durch den Harz. Für die inhaftierten russischen Frauen von Pussy Riot veranstalteten sie Benefizkonzerte im Jahr 2012. Für die Berliner Kältehilfe spielten sie eine Show und baten statt Eintritt um Decken und Schlafsäcke. Auch für Kein Bock auf Nazis und die Stiftung Skate Aid sind sie im Einsatz.

Manchmal überrennt sie beim Songschreiben die Aktualität. Das neue Album etwa war schon fertig, als es die ersten Pegida-Demonstrationen gab. „Da müssen wir noch mal nachlegen“, sagt Gitarrist und Songtexter Oliver Arnold („Arni“). „Oft ist es aber auch interessanter, Themen so zu beackern, dass sie zeitloser sind, dass man nicht nur den Nachrichtensprecher macht, sondern die emotionale Perspektive hat.“

Ihr soziales und politisches Engagement ist ein Mitbringsel aus der Heimat, wo Sänger Fichte (30) „jedes Wochenende Stress mit Faschos“ hatte und die Band früh Demos gegen Nazis organisierte. Suhl – die Stadt, aus der junge Menschen flüchten – wird auch im Song „Geisterstadt“ thematisiert.

„Unsere Stadt brennt“, das von Andi Jung (Beatsteaks) und Archi Alert (K.I.Z.) produziert wurde, ist im Vergleich zu früheren Alben poppiger geworden. Man hört Sympathien für die Toten Hosen heraus. Fichte erklärt die neuen Töne grinsend: „Ich beherrsche den schnellen Punkrock-Takt einfach nicht.“ Auch die eigenen Hörgewohnheiten haben sich geändert. Heute legt Arni (28) zu Hause auch mal Country auf und Fichte Kraftklub.

Auf dem neuen Album hat sich die Band, die lange als WG zusammenlebte, erstmals ruhigere Songs wie „Glasherz“ getraut. „Uns interessiert ja nicht nur Politik, sondern auch Zwischenmenschliches“, sagt Arni. Vor solchen Songs „hätten wir früher Angst gehabt“ – vor möglichem Kitsch, aber auch den musikalischen Herausforderungen über drei Akkorde hinaus. Eine einzige Gesangsstunde hat sich Fichte mal gegönnt: Drei Stunden lang ließ ihn die Lehrerin nur „Knockin’ on Heaven’s Door“ proben – danach war das Thema durch.

Nur von der Musik können Radio Havanna, die als erste deutschsprachige Band beim US-Festival The Fest in Gainesville spielten, nicht leben – werten das jedoch auch als Pluspunkt Unabhängigkeit. Arni arbeitet als Booker, Fichte als Veranstaltungstechniker, Drummer Andreas Hartmann („Anfy“) als Grafiker, und Bassist Oliver Saal studiert Geschichte. Falls es mit dem großen Durchbruch nicht mehr klappt, dann „haben wir unseren Frieden damit geschlossen“, sagt Arni. NADINE EMMERICH

■ Radio Havanna: „Unsere Stadt brennt“ (Uncle M/Cargo), live am 6. März im Lido