Film und Buch

Schriftstellerin. „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ erschien 2012, „Die juristische Unschärfe einer Ehe“ 2014, auch bei Hanser.

14.57 Uhr: Die Regisseurin Tatjana Turanskyj und die ZDF-Moderatorin Luzia Braun kommen rein. An Turanskyjs Mütze ein Sticker: „Pro Quote“. Braun fragt: „Ist das Sookee?“ und zeigt auf die Rapperin. Die beiden umarmen sich.

Frau Kroyman, in Ihrer Show „In My Sixties“ erzählen Sie einen Vergewaltigungswitz. Erzählen Sie uns den auch?

Maren Kroymann: Ich singe Lieder aus den 60ern, die ich toll finde, aber erzähle auch davon, wie schlecht wir uns als Mädchen gefühlt haben und wie schlecht wir behandelt wurden. Frauenfeindliche Witze waren Alltag, und der Vergewaltigungswitz war natürlich die Krönung. Darin geht es sehr viel um Nonnen und Jungfrauen, also um Frauen, die per definitionem keinen Mann haben, der ihnen im Witz dann zugeführt wird. Der Witz geht so: „Nonne geht in einen Wald, kommt ein Mann und vergewaltigt sie. Sagt der Mann: ‚Es tut mir leid, dass ich Sie aufgehalten habe, liebe Nonne, was erzählen Sie denn jetzt im Kloster?‘ Sagt die Nonne: ‚Ich erzähle, wie es war: Ich war im Wald, dann kamen Sie und haben mich zweimal vergewaltigt.‘ – ‚Warum denn zweimal?‘ – ‚Na, zehn Minuten werden Sie doch noch Zeit haben.‘ “

Keiner der Gäste lacht.

Wie reagiert Ihr Publikum?

Kroymann: Leises Stöhnen, betroffenes Schweigen, schallendes Gelächter … Manche finden es einfach lustig, andere denken, ich will, dass sie lachen, und wieder andere lachen besonders viel, weil es politisch unkorrekt ist, über so etwas zu lachen.

Stumpft man das Publikum nicht ab, wenn man zwischen Schlagern ein bisschen Vergewaltigungsprosa einfügt?

Kroymann: Ganz und gar nicht. Viele erschrecken sich ja darüber, dass sie tatsächlich gelacht haben. Vergewaltigung findet im Alltag statt. Deshalb müssen wir auf der Bühne oder im Film spürbar machen, wie beiläufig Gewalt gegen Frauen legitimiert und eingesetzt wird. Und Vergewaltigung genau nicht als Spezialthema in einer Frauensondersendung behandeln.

Frau Postel, solche Provokationen wären im deutschen „Tatort“ undenkbar, oder?

Sabine Postel: Wir legen natürlich Finger in Wunden, aber wir machen keine Witze darüber. Politische Inkorrektheit ist bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht angesagt. Etwa: Migranten als Mörder? Das gibt es fast nicht. Er ist zwischendrin mal verdächtig, aber am Ende ist die TäterIn deutsch. Das ist ganz schön verklemmt. Unser Tatort „Brüder“ ist eine wohltuende Ausnahme.

Haben Sie ein Lieblingstabu oder Stereotyp, an dem Sie demnächst kratzen wollen?

64, Schauspielerin, Kabarettistin und Entertainerin. Ihre Show „In My Sixties“ wird derzeit in Hamburg gezeigt.

Postel: Nein. Ich hab ja das Glück, für einen kleinen, feinen, linken Sender zu arbeiten. Wir arbeiten harmonisch zusammen.

Tatjana Turanskyj: Für mich ist die Figur der starken Frau, der Kommissarin mit der dunklen Stimme, die sich immer durchsetzt, ein Stereotyp, das mich ziemlich langweilt.

Postel: Klar, im „Tatort“ bin ich als Gutmensch unterwegs.

Turanskyj: Es wäre doch schön, wenn auch im TV geweint werden dürfte, einfach nur so, weil man unglücklich ist. Wenn eine Servicefrau einfach mal auf dem Klo zusammenbricht, ohne dass dann das große Melodram beginnt. Oder die Busfahrerin vor Liebeskummer oder von mir aus auch nur wegen Rückenschmerzen heult. Oder die Kommissarin auch mal liebt.

Postel: Ich hatte mal einen Mann, aber er wurde erschossen. Da durfte ich ganz herzlich weinen! Aber klar, eigentlich steht die Kommissarin immer ihren Mann.

Turanskyj: Das ist totaler Kitsch.

Kroymann: Ich hatte letztens das Glück, im „Herzkino: Zu mir oder zu dir?“ eine ältere, erfolgreiche Frau spielen zu dürfen, die sich dann aber unkorrekt in den Freund einer jüngeren Kollegin verliebt. Ich durfte pubertär, peinlich und übergriffig sein und endlich mal diese verdammte Souveränität aufgeben! Immer sind wir cool, das ist so langweilig zu spielen!

Es gibt Bewegung im Bereich Frauen und Fiktion selbst im ZDF, sonntags um 20.15 Uhr?

Turanskyj: Doch nur, wenn es ein Happy End gibt und das Weinen oder Schwachwerden der „starken Frau“ nie ins Verrückte, Irre, Verzweifelte abgleitet. Die Sender verkennen weiterhin ihr Publikum. Das ist doch längst wo ganz anders und guckt im Netz viel wildere Geschichten. Und wäre sicher beruhigt, wenn im Fernsehen nicht alles so glatt zugehen würde.

Schauspielerin und Hörspielsprecherin. Seit 1997 spielt sie die Bremer „Tatort“-Kommissarin Inga Lürsen.

Kroymann: Natürlich muss man mit den Erwartungen der TV-Redakteure umgehen, und die wollen für bestimmte Sendeplätze eben bestimmte Einschaltquoten haben. Wenn wir bei „Zu dir oder zu mir“ nicht 5,1 Millionen ZuschauerInnen gehabt hätten, hätten sie sich sicher nicht mehr auf ein Experiment eingelassen.

Postel: Das Problem ist aber doch, dass etwas anderes erst gar nicht produziert wird. Denn vorher heben schon so viele den Finger und sagen: Jetzt hier mal nur nicht zu weit gehen!

Frau Grjasnowa, mit Ihren beiden Romanen zählen Sie zu den erfolgreichen neuen Schriftstellerinnen im Literaturbetrieb. Müssen Sie sich auch mit solchen Begrenzungen von Frauen- und Männerbildern herumschlagen?

Olga Grjasnowa: Nein, wenn man für ernsthafte Verlage arbeitet, kann man alles schreiben, und es ist dann wirklich schwierig, nicht veröffentlicht zu werden.

Postel: Oh, das ist jetzt aber vielleicht ein bisschen kokett!

Grjasnowa: Nein. In der Literaturbranche richten sich die Normierungen vor allem auf das Erscheinungsbild der Schriftstellerinnen, nicht so sehr auf ihre Romane. Früher sprach man gerne von einem „Fräulein, das schreiben konnte und nicht mal Sekretärin war“.

Und heute sind Sie das „Fräuleinwunder“, oder?

Grjasnowa: Ja, aber bei mir geht es eher um das Bild der „integrierten Migrantin“ oder „Jüdin“. Noch vor ein paar Jahren waren alle Frauen unter 60 Jahre solche Fräuleinwunder, ein Mann war seltsamerweise kein „Knabenwunder“, sondern gleich ein erwachsener Schriftsteller.

ist Filmemacherin und macht Arthousefilme. „Eine flexible Frau“ (2012) und „Top Girl“ (2014) liefen auf der Berlinale und im Kino.

In Ihren Romanen werden unkonventionelle Beziehungs- und Liebesformen erkundet. In „Die juristische Unschärfe einer Ehe“ etwa stehen eine junge Frau und ein junger Mann im Mittelpunkt, die aus Baku kommen, homosexuell, aber miteinander verheiratet sind und in Berlin leben.

Grjasnowa: Das Irritierendste für das Publikum war, dass das homosexuelle Paar trotzdem gelegentlich auch miteinander schläft.

Frau Turjanskyj, Ihre „Triologie Frauen und Arbeit“ dreht sich um Begehrensformen unter prekären Arbeitsbedingungen. In „Top Girl“ (2014) passt sich die Hauptfigur als erotische Dienstleisterin in die Fantasien ihrer Klienten ein. Was ihnen auch erlaubt, sehr übergriffig zu werden.

Turjanskyj: Feminismus und Ökonomie interessiert mich als Künstlerin und auch in politischer Hinsicht.

15.29 Uhr: Anja Müller, Fotografin und Expertin für „Altersbilder“, kommt per Fahrrad. „Ich hab zu viel an.“ Sie zieht aus: eine Hose, zwei Jacken, einen Pullunder, eine Mütze, zwei Paar Handschuhe.

Sie sind Mitgründerin von „Pro Quote Regie“ und mit Ihrer Forderung, dass die Filmförderung und die Auftragsvergabe im TV geschlechtergerecht vergeben wird, recht erfolgreich.

„Ich hatte mal einen Mann, aber er wurde erschossen. Da durfte ich ganz herzlich weinen! Aber klar, eigentlich steht die Kommissarin immer ihren Mann“

SABINE POSTEL, „TATORT“-KOMMISARIN

Turjanskyj: Uns ist es gelungen, das Thema jetzt in der Öffentlichkeit zu verankern. Aber bis zu einer Quote oder einem ähnlichen Gesetz ist es noch ein weiter Weg. Wir arbeiten dran!

Kroymann: Das Thema Geld ist ungeheuer wichtig und auch überhaupt nicht ehrenrührig. Deshalb unterstütze ich auch Pro Quote Regie. Die finanzielle Unabhängigkeit ist zentral, gerade für Frauen. Und doch fällt es vielen Frauen schwer, sie zur Leitlinie für ihr Leben zu machen. Erstens kommt einfach nicht genug Geld rein. Und zweitens scheint die Wahrung des Lebensstandards und wie man von außen wahrgenommen werden will, für nicht wenige wichtiger zu sein. Darüber wird aber selten gesprochen.

Postel: Ja, das ist ein Tabu. Mir ist das sehr fremd. Ich hatte immer den Kampfgeist, unabhängig zu sein. Aber man muss auch sehen, dass die Gagen gerade in den letzten Jahren sehr heruntergegangen sind. Heute gibt es Kollegen, die nur noch die Gage von Hundetrainern kriegen.

Kroymann: Ja, die Goldenen 90er sind vorbei. Wir haben einfach Schwein gehabt, dass wir damals schon im Geschäft waren.