Zu den Fotos in dieser Literataz

Siebzehn Hektar groß war dieses Gelände. Vom Herbst 2004 bis zum Frühjahr 2005 trieb sich der Fotograf Marc Theis auf ihm herum, ausgestattet mit Kamera und Bauhelm. Im Vorwort zu dem Fotoband „Lost in Time“, dem wir die Fotografien in dieser Literataz entnehmen, schreibt er: „Es war fast wie in einem Krimi: ungewöhnliche Geräusche überall und immer die Sorge, hinter der nächsten Ecke könnte doch noch eine Leiche auftauchen, was Gott sei Dank nicht geschah.“

Dafür tauchten immer mehr und immer schönere Graffiti auf. Zehn Jahre lang hatten die Gebäude bei Hannover, bis 1995 Fabrikationsort der Continental Reifenfabrik, leergestanden. Unbekannte Sprayer hatten sich Zutritt verschafft und ihre Zeichen und Bilder hinterlassen. Marc Theis, 1953 in Luxemburg geboren, seit 1983 selbständiger Fotograf, bequatschte die zuständige Behörde und bekam einen Schlüssel.

So entstand der Band „Lost in Time“, der mehr ist als nur eine Dokumentation dieser wilden Sprayer-Fantasie, die sich in dieser Fabrik austoben konnte. Was für Bilder an diesen Wänden, Fenstern und Gittern entstanden waren! Oft haben die unbekannten Sprayer mit den vorgefundenen Gegebenheiten interagiert, Schaltkästen in ihre Szenarios eingebaut, manchmal auch Environments geschaffen, etwa indem sie in einem Raum mit herumliegenden Steinen einen Mann mit einem großen Besen an die Wand zauberten. Mit seinen Perspektiven und Bildausschnitten schafft Marc Theis stets den richtigen Rahmen, um das Kunstwerkhafte in dieser Alltagskunst erkennen zu können. Man kann es inzwischen nur noch in diesen Fotoarbeiten. Die realen Graffiti gibt es nicht mehr. Inzwischen sind alle Hallen, die Marc Theis so sorgfältig durchstreifte, abgerissen. DRK

Marc Theis: „Lost in Time“. Mit einem Essay von Boris von Brauchitsch. Peperoni Books, Berlin 2011, 144 Seiten, 96 Farbabbildungen, 40 Euro