„Heißt das, Sie wissen nichts?“

NEONAZIS Protokoll der Sitzung des Innenausschusses im Bundestag offenbart Ahnungslosigkeit über Aufenthalte und Haftbefehle gegen Rechtsextreme

VON WOLF SCHMIDT

BERLIN taz | Gibt es noch weitere Untergrund-Neonazis? Militante Rechtsextreme, gegen die ein Haftbefehl vorliegt, der aber nicht vollstreckt werden kann, weil sie schlicht und einfach abgetaucht, für die Behörden nicht auffindbar sind? So wie es 1998 Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Jena getan haben, um anschließend jahrelang mordend und raubend durch Deutschland zu ziehen ?

Das ist eine Frage, die nach dem Bekanntwerden der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) die Innenexperten aller Bundestagsfraktionen umtreibt. Nur: Die Sicherheitsbehörden können ihnen darauf bisher keine Antwort geben. Die „Aufenthaltsermittlung“, wie es im Bürokratensprech heißt, gestaltet sich offenbar schwierig.

Wie ratlos Polizei, Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft bei dieser Frage sind, zeigt das Protokoll der viereinhalbstündigen, vertraulichen Sitzung des Bundestagsinnenausschusses von Anfang dieser Woche, das der taz vorliegt.

Da stellt der Ausschussvorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) eine ziemlich simple Frage: „Gibt es noch andere Rechtsextremisten, die per Haftbefehl gesucht werden, aber nicht zu finden sind?“ Was darauf von den Vertretern der Sicherheitsbehörden folgt, ist die schiere Ratlosigkeit. „Das kann ich im Moment nicht verbindlich sagen“, sagt der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm. „Das müssen wir klären.“

Darauf die Vizechefin des hessischen Verfassungsschutzes: „Ich kann mich dem anschließen.“ Und schließlich der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, des Landes also, aus dem das Terror-Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe kommt: „Ich sehe es auch so.“

Laut Protokoll der Innenausschuss-Sitzung werden die Parlamentarier danach ungehalten. „Sie wissen nichts?“, ruft jemand aus der SPD. Und auch Wolfgang Bosbach von der CDU verliert die Contenance. „Liebe Leute, jetzt muss ich aber einmal etwas sagen“, wird er zitiert. „Ich bin ja an und für sich gemütlich vom Wesen her. Aber nach so einem Komplex muss man doch wissen, ob es Haftbefehle gibt und diejenigen, die man sucht, untergetaucht sind.“

Die Frage nach nicht vollstreckbaren Haftbefehlen, so Bosbach weiter, „kann man doch nicht mit Nichtwissen beantworten“. Um schließlich sein Statement mit einem sarkastischen „Herzlichen Glückwunsch“ zu beenden.

Noch drei Tage nach der Sondersitzung war bei den Mitgliedern des Innenausschusses das Entsetzen zu spüren. Bei jedem Islamisten, der durch radikale Sprüche in der Moschee auffalle und dann irgendwann vom Radar verschwinde, klingelten sofort die Alarmglocken, sagte am Donnerstag der Grünen-Innenexperte Wolfgang Wieland. Dann suche man im fernen Waziristan nach ihm.

Nur bei der Frage nach untergetauchten Rechtsextremisten ist in Deutschland alles anders – da herrscht die große Ahnungslosigkeit.