Europa-Enthusiasmus verflogen

Rumänien wählt erstmals nach dem EU-Beitritt seine Abgeordneten für das Europaparlament. Deren Aufgaben dort sind den wenigsten Wählern bekannt

BUKAREST taz ■ „Wir sind doch schon in Europa“, sagt eine Verkäuferin auf einem großen Bukarester Markt, „wozu müssen wir noch wählen gehen?“ Diese Frage stellen sich viele der 14 Millionen Rumänen, die am Sonntag zum ersten Mal nach dem EU-Beitritt ihres Landes am 1. Januar 2007 ihre Vertreter für das EU-Parlament bestimmen. Noch im vergangenen Jahr wunderten sich ausländische Zeitungen über die Europabegeisterung, die ihnen hier überall entgegenschlug. Doch nun scheint der Enthusiasmus verflogen zu sein.

Auch die Kandidaten der mehr als einem Dutzend Parteien, die sich um die 35 Mandate im Europäischen Parlament bewerben, sind sich ihrer Aufgabe nicht ganz im Klaren. Der Wahlkampf dümpelt vor sich hin, die Wahlkampfparolen klingen hohl, und selbst in Bukarest sind nur wenig Plakate zu sehen.

Die wichtigste Gruppierung der Opposition, die Sozialdemokratische Partei, ist mit dem Slogan „Für ein starkes und gerechtes Rumänien“ angetreten. Das Wort Europa kommt darin erst gar nicht vor. Die Christdemokratische Bauernpartei treibt die nationale Nabelschau noch weiter und wirbt mit „Ich bleibe ein Rumäne in Europa“.

Ebenso die Christdemokratische Partei der Jungen Generation des populistischen Klerikalnationalisten und Oligarchen Gigi Becali, dessen Wahlkampfparole der allgemeinen europamüden Stimmung entspricht: „Im Dienste des Kreuzes und des rumänischen Volkes“. Umso lauter tönt hingegen Präsident Traian Băsescu. Von Tausenden von Plakaten blickt sein Konterfei auf das Wahlvolk herab. Stirnrunzelnd und mit einem verschmitzten Lächeln kündigt er „das große Saubermachen“ an.

Parallel zu den Europawahlen findet am Sonntag auch noch ein von Băsescu initiiertes Referendum statt, das eine Änderung des Wahlrechts vorsieht. Zwischen dem liberalen Ministerpräsidenten Călin Popescu Tăriceanu und Staatspräsident Băsescu tobt seit zwei Jahren ein Kompetenzstreit, der im Mai eine zeitweilige, durch das Parlament erzwungene Amtsenthebung Băsescus zur Folge hatte. In einer Volksabstimmung wurde Băsescu jedoch in seinem Amt bestätigt.

Der Präsident beschimpfte die Abgeordneten danach als korrupt und bezichtigte sie der Komplizenschaft mit der Koalitionsregierung, der die Liberale Partei und der Demokratische Verband der Ungarn aus Rumänien angehören. Băsescu will nun das Verhältniswahlrecht abschaffen. Durch die Einführung des Mehrheitswahlrechts, meinen Beobachter, will er seine politischen Gegner schwächen und seine eigene Demokratische Partei als stärkste Gruppierung etablieren.

Das vom Präsidenten angestrebte reformierte Wahlrecht sieht ein für alle Parteien obligatorisches namentliches Abstimmungsverfahren vor. Auf diese Weise kämen keine anonymen Kandidaten über die von den jeweiligen Parteien aufgestellten Listen ins Parlament. In jedem Wahlkreis soll ein Abgeordneter direkt gewählt werden. Wenn er die absolute Mehrheit verfehlt, erfolgt eine Stichwahl.

Ob der populistische Vorstoß des Staatschefs die gesetzlich vorgeschriebenen 50 Prozent der Wählerschaft mobilisieren wird, bezweifeln Politologen. Laut jüngsten Umfragen wird die Wahlbeteilung weit darunter liegen. Dies dürfte dem ehrgeizigen Populisten Traian Băsescu einen Nasenstüber versetzen. WILLIAM TOTOK