Frauen, schön wie Blumen

BOMBAY-KULISSE Viel Indien und viele Erzählschlaufen: Der indische Schriftsteller Amit Chaudhuri und sein neuer Roman „Mrs Sengupta will hoch hinaus“

„Mrs Sengupta will hoch hinaus“ heißt das Buch in der deutschen Übersetzung, im Original „The Immortals“. Hm, ziemlich anders, wobei das ja noch nicht ungewöhnlich ist. Bloß: Im neuen Roman des indischen Schriftstellers Amit Chaudhuri geht es nicht vornehmlich um Mrs Sengupta, vielmehr steht ihr Sohn im Mittelpunkt, Nirmalya, und dessen ernsthaftes Interesse für indische Musik. Doch der Blessing Verlag nutzt das grassierende Indien-Bollywood-Fieber, weswegen auch der Umschlag des Buches muntere Komödienhaftigkeit verbreitet. Egal: Wenden wir uns dem Inhalt zu.

Amit Chaudhuri erzählt – wie immer unaufgeregt realistisch – aus dem Innenleben einer indischen Kleinfamilie: Vater, Mutter, Kind. Ort: Bombay, heute streng genommen Mumbai. Wie der Autor selbst sind die Senguptas Exilbengalen aus Kalkutta. Die Handlung setzt Ende der siebziger Jahre ein (Indira Gandhi hält die Macht noch in Händen) und zieht sich bis zum Erwachsenwerden des Sohnes auf fast 400 Seiten dahin. Dabei erweisen sich die Senguptas als prototypisch neureiche indische Familie. Der Vater macht steile Karriere in irgendeinem Unternehmen, während Mutter und Sohn sich der Musik über Gebühr hingeben. Chaudhuri selbst ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Musiker. Die kenntnisreichen Passagen über klassische indische Musik zeugen davon.

In schlichter Sprache, gerne auch mit einem Augenzwinkern, erzählt Chaudhuri seine Geschichte. Er schreibt in Schleifen, die an Arabesken erinnern, aber eben auch an die repetetiven Momente indischer Musik.

Immer mal wieder thematisiert er auch die Unterschiede zwischen Indien und Europa, wobei das durchweg zugunsten Indiens ausgeht, was ein bisschen langweilig ist. Ja, gewiss, in Europa ist es kalt und dunkel und das Essen fad. Stimmt, trotzdem freut man sich als Leser, dass es auf Seite 233 endlich mal nach England geht.

Im Kern erzählt Chaudhuri diesmal eine klassische Coming- of-Age-Geschichte, die viel mit seiner eigenen Biografie zu tun hat. Nirmalya, ein verwöhntes Einzelkind mit Denkerstirn, fahndet nach einem besonderen Weg durch das Leben in der Boomtown Bombay. Das Verhältnis zu seinem Guru, dem Musiklehrer Shyamji, ist dabei prägend für sein weiteres Leben.

Diese für die indische Gesellschaft typische Lehrer-Schüler-Konstellation bringt Chaudhuri gut auf den Punkt. Wie es ihm überhaupt gelingt, die indischen Seiten in einer sich nach allen Seiten hin öffnenden Welt offen zu legen. Als offizielle Religion des Landes kann der Aberglaube gelten, und dass nur zu Hause anständig gekocht wird, davon zeugen auch Hunderte von sogenannten Dabbawallahs, die den Büroarbeitern Bombays ihr Mittagessen von zu Hause direkt an die Schreibtische liefern. Kurz: In diesem Roman steckt viel Indien und man kann viel erfahren über das Land und seinen Nationalcharakter. Das Problem liegt im Wie.

Chaudhuri weiß, wovon er schreibt, der Leser allerdings oftmals nicht. Immer wieder fragt man sich vielmehr: Um was geht es hier eigentlich? Denn Chaudhuri erzählt umständlich. Seine Sätze wurmen sich nicht selten uninspiriert fort und seine Sprache ist zuweilen umwerfend simpel: Frauen sind da so schön wie Blumen und das Hühnercurry köstlich. Hinzu kommt, dass er immer neue Figuren auftreten lässt, die dann ebenso schnell wieder verschwinden.

Gewiss: Ihm gelingen auch schöne sprachliche Bilder, aber die bilden in diesem Roman leider die Ausnahme. Sieben Jahre hat sich Amit Chaudhuri für dieses neue Buch Zeit gelassen. In der Zwischenzeit sind zwei CDs von ihm erschienen. Womöglich sollte er der Musik treu bleiben.

SHIRIN SOJITRAWALLA

■ Amit Chaudhuri: „Mrs Sengupta will hoch hinaus“. Aus dem Englischen von Barbara Heller. Karl Blessing Verlag, München 2011, 394 S., 21,95 Euro