Pakistans afghanische Sündenböcke

FLÜCHTLINGE Als Folge des Terrorangriffs auf eine Schule in Peschawar werden viele afghanische Flüchtlinge jetzt dazu gedrängt, Pakistan zu verlassen. Korrupte Beamte machen damit ein Geschäft

BERLIN taz | Nachdem pakistanische Talibankämpfer im Dezember in Peschawar eine Schule angegriffen und dabei 132 Kinder ermordeten hatten, kündigte die Regierung in Islamabad harte Maßnahmen an. Da Gerüchten zufolge auch Afghanen an dem Angriff beteiligt waren, müssen nun vor allem afghanische Flüchtlinge dafür büßen.

Allein in den letzten zehn Wochen wurden knapp 52.000 von ihnen gezwungen, nach Afghanistan zurückzukehren – mehr als doppelt so viele wie im gesamten Jahr 2014. Dabei leben viele der rund 2,7 Millionen afghanischen Flüchtlinge schon seit Jahrzehnten in Pakistan. Jetzt fühlen sie sich hilflos den Behörden ausgeliefert, die sie zu Sündenböcken machen.

„Plötzlich wurde ich mitten auf der Straße verhaftet und in eine dreckige Zelle gesteckt“, meint der 53-jährige Hamid. Der Händler lebt seit fast dreißig Jahren in Peschawar, der Hauptstadt der nordwestlichen Provinz Khyber Pakhtunkhwa nahe der afghanischen Grenze. Da Hamid keine Dokumente bei sich hatte und offensichtlich als Afghane erkennbar war, gingen die Polizisten brutal mit ihm um. Erst nachdem seine pakistanische Ehefrau zur Wache ging, ließ man ihn gehen. Der Grund: Flüchtlinge, die mit einem pakistanischen Staatsbürger verheiratet sind, haben nichts zu befürchten.

Dass Afghanen wie Hamid mit dem Schulmassaker in Verbindung gebracht werden, ist für ihn mehr als tragisch. Denn auch ein Neffe seiner Frau wurde bei dem Angriff im Dezember ermordet.

Nichtsdestotrotz hatte er im Vergleich zum 20-jährigen Zubair und dessen drei Brüdern noch Glück. Auch sie wurden willkürlich ins Gefängnis geworfen. Dort wurden sie drangsaliert und als „Terroristen“ beschimpft. Freigelassen wurden sie erst nachdem Zalmay, ihr greiser Vater, 60.000 pakistanische Rupien (540 Euro) Schmiergeld zahlte und sie damit freikaufte.

Nun steht die zehnköpfige Familie, die bisher mitten in Peschawar in einer Zwei-Zimmer-Wohnung lebte, völlig mittellos da und will nach Afghanistan aufbrechen. „Wir müssen weg von hier. Die Armut in meiner Heimat ist mir lieber als die Schikane in diesem Land, in dem Afghanen als Menschen zweiter Klasse betrachtet werden“, meint Zalmay.

Die Flüchtlinge können oft nur ihr nötigstes Hab und Gut mitnehmen. Viele überqueren die afghanische Grenze zu Fuß. Dabei sind sie der Gefahr von Räubern, militanten Islamisten oder auch Drohnenangriffen ausgesetzt. Und auf der afghanischen Seite konkurrieren sie dann mit pakistanischen Flüchtlingen aus der umkämpften Grenzregion Waziristan, wo seit Monaten ein umstrittene Operation des pakistanischen Militärs stattfindet, um die viel zu geringen Hilfsangebote. EMRAN FEROZ