Fiese Türsteher lauern auch im Jenseits

In der Neuköllner Oper erzählt „Weintraubs Jazz Odysee“ von einer vergessenen Tanzkapelle, die unbedingt in den Jazz-Himmel will

Die Comedian Harmonists kennen alle. Das war dieser Spaßchor aus den röhrenden Zwanzigern, der mit Schlagern über grüne Kakteen oder Jahreszeitenansagen („Veronika, der Lenz ist da“) noch heute im kollektiven Kulturbewusstsein der Deutschen enthalten ist. Sogar einen Film gab es über die Truppe, vor zehn Jahren von Joseph Vilsmaier gedreht. Wer aber kennt noch Weintraubs Syncopators? Niemand. Dabei war das eine nicht minder erfolgreiche Tanzkapelle, mit dem Unterschied, dass es sich wirklich um eine Tanzkapelle gehandelt hat und nicht um ein Sängerquintett.

Die Syncopators hatten keine berühmten Hits, dafür durften sie unter der Leitung von Stefan Weintraub und zeitweise Friedrich Holländer unter anderem die Filmmusik zu „Der blaue Engel“ samt Auftritt beisteuern. Sie machten Karriere, bis die Nazis an die Macht kamen. Genauso wie die Comedian Harmonists wurden sie nach 1933 mit Auftrittsverboten belegt, weil sie zum größten Teil jüdisch waren. Die Harmonists teilten sich in Deutsche („Meistersextett“) und durchs Ausland tingelnde Juden („Comedy Harmonists“), die Syncopators tourten durch die nichtdeutsche Welt, nach Dänemark, Holland, Österreich und Japan, bis Stefan Weintraub und zwei seiner Musiker unter bizarren Vorwürfen nach Kriegsausbruch 1941 in Australien verhaftet wurden.

In der kleinen Neuköllner Oper, oben im fünften Stock, auf einer passablen Studiobühne, hat man sich Weintraubs und seiner Truppe jetzt angenommen. In der Inszenierung von Ulrike Gärtner wird in „Weintraubs Jazz Odyssee“ die tragische Lebensgeschichte des deutschen Juden Weintraub erzählt, der als Automechaniker 1981 in Australien starb. Eine kleine Revue mit haufenweise Jazz-Schlagern (von Charleston bis Dixie) und einem Handlungsbogen, der eben genau diesen Werdegang erzählt, ist so entstanden. Revue, wörtlich Rückblick, ist dabei der richtige Begriff: Den Rahmen bildet Weintraubs (Jan-Geerd Buss) Eintritt in den Himmel, und sein Gesuch an Gott (Monika Ullemeyer), in den „Jazz-Himmel“ aufgenommen zu werden. Doch da ist ein pedantischer namenloser Engel vor, der den Einlass kontrolliert (René Döring). Flankiert wird er von einem schwärmerischen Engel, gespielt von Kirstin Hasselmann. Um tatsächlich das ordentlich bis gut agierende Ensemble vollzumachen (die Band gibt es natürlich auch noch): Jaron Löwenberg und Karolina Kubiak füllen in mehreren Rollen die Lücken aus. Löwenberg hat einen lustigen Auftritt als John Lennon, was zeitlich aber nicht ganz hinkommt – Lennon starb 1980, Weintraub ein Jahr später.

Nun strömen Wörter wie Jazz, Oper, Studiobühne nicht eben Wohlbehagen aus. Von besonderer Relevanz ist diese „Jazz Odyssee“ nicht, übers Wiederentdeckende hinaus leistet sie nicht viel. Den Charme, die Brisanz der Zwanzigerjahre fängt sie nur ungenau ein, dafür wirkt die Band zu spießig, und die streng an den Eckpfeilern der Vita Weintraubs entlanghastende Handlung ist zu dürr. Von den Zwanzigern bleiben nur wenige Klischees, die mit zu vielen, dafür aber zuweilen amüsanten Songs überbrückt werden. Auch den tragischen Fortlauf der Geschichte – die Flucht vor den Nazis, das Leiden im Exil, das absurde Ende in Australien – bekommt man nur eben so dahererzählt. Die Idee eines Jazz-Himmels ist nett, bleibt aber bestreitbar, weil irgendwie christlich; dabei handelt es sich doch um eine deutsch-jüdische Geschichte. Kurzum: Wer sich leicht schrulliger vorweihnachtlicher Unterhaltung, die nicht wehtut und dabei ein bisschen Geschichtsaufklärung leistet, hingeben will, der darf sich hier aufgehoben fühlen. Der Rest bleibt besser zu Hause.

RENÉ HAMANN

Weintraubs Jazz Odyssee, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str. 131–133. Wieder am 6./7., 9., 13./14., 16., 19.–22., 27.–30. Dezember, 20 Uhr